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      Marburg, 1851 Mai 12

Hochverehrter Freund!

Ihr Brief vom 10. d. M., welcher vor einigen Stunden bei mir ankam, hat mich freudig überrascht, indem ich daraus mit Freuden ersehe, daß Sie mir Ihr oft bewährtes Vertrauen fortwährend schenken, zumal in einer so überaus wichtigen Angelegenheit. Es ist dies rücksichtlich der erwähnten Chance und Möglichkeit umso angenehmer, als ich Ihnen zuerst wegen Klinkerfues schrieb, ehe wir hier von Goldschmidts Tode eine Silbe wußten, und ich jenen gerade am 9ten d. M. ganz unbefangen entließ.

Wegen Brünow[1] kann ich bis jetzt nichts mitteilen. Über seine Persönlichkeit und seinen Gehalt glaube ich Ihnen bald Nachricht verschaffen zu können, indem mein Kollege von Sybel[2] in Düsseldorf zu Hause ist, und noch kürzlich da war. Ich werde ihn gelegentlich (versteht sich mit der gehörigen Vorsicht) darnach fragen. Was aber seine Qualifikation betrifft, so vermag ich darüber keine Auskunft zu geben, denn ich weiß von ihm nichts als was ich mitunter einmal gelesen habe, und in der hier fraglichen Richtung käme es doch wohl vorzüglich darauf an, daß man ihn hätte arbeiten sehen. In diesem Fall ist meines Wissens nur Encke gewesen und diesen kann ich doch nicht wohl (noch dazu 119 schriftlich) darum fragen, ohne daß ich die Möglichkeit des Zurückschließens auf die Ursache meiner Frage herbeiführe, würde dies also keinesfalls ohne Ihre direkte Erlaubnis dazu tun dürfen.

Was nun Kl[inkerfues] betrifft, so habe ich ihm damals (am 16. März) ganz kurz und wie gesagt, ohne an die jetzige Möglichkeit noch zu denken, gesagt, daß Sie ihm kein privatissimum geben, sonst aber sein Studium auf alle Weise zum Guten leiten würden. Er war einige Stunden nach dieser Unterredung zu seinen Verwandten gereist, und antwortete mir demnächst, als ich ihn fragte, wann er denn abzureisen gedenke, daß dies nicht von ihm allein abhinge. Ich vermute also, daß sein spätes Ankommen Folge von pekuniären Verhältnissen sein mag. Am 6. Mai kam er nun mit der Nachricht, daß er am 9. abreisen wolle. Darauf schickte ich ihm am 7. den Lorenz nebst meinem Briefchen. Am 9ten morgens früh kam er denn um Abschied zu nehmen. ̶ Bei dieser Gelegenheit fragte er mich: ob und durch wen Goldschmidts Stelle wiederbesetzt sei? Auf meine Antwort, daß ich davon noch nichts wisse, fragte er weiter, ob Sie ihm dann auch wohl, obwohl Sie nun keinen Observator hätten, Instrumente anvertrauen und z.B. gestatten würden Kreismikrometer-Beobachtungen zu machen? Ich sagte ihm dann, daß dies allein von dem Grade des Vertrauens abhängen würde, welches er sich selbst bei Ihnen zu erwerben wissen würde, und machte ihn bei der Gelegenheit noch freundlich aber ernst auf [seinen][3] Hauptfehler aufmerksam, bei Ablieferung übernommener Ge[genstände] immer unter den Nachzüglern zu sein; indem ich ihm sagte, [Sie] seien in diesem Punkt viel strenger als ich, und verlangten von einem angebenden Praktikant militärische Pünktlichkeit.

Er hatte nun noch eine Menge von Kleinigkeiten auf dem Herzen, und wiederholte sein schon öfter abgelegtes Geständnis, daß er vermöge seiner Erziehung pp. in Sachen des gemeinen Lebens unerfahren, blöde und menschenscheu sei. Ich habe ihm dann, damit er in seiner Verlegenheit Ihnen nicht mit Querelen über fremde Dinge zur Last fallen solle, 5 adressierte Visitenkarten mitgegeben an Web[er], Woehler, Sartorius, Listing und Ulrich[4] , und ihm gesagt, daß einer oder der andere von diesen gewiß die Gefälligkeit haben werde, ihn auf Anmelden, auch in nichtwissenschaftlicben Dingen, die er Ihnen nicht antragen könnte, zurecht zu weisen.

Schulkenntnisse hat er soviel, als er für den Zweck zunächst braucht. Schon vor 2 1/2 Jahren konnte ich ihm eine lateinische Abhandlung zu lesen geben. Mit dem Französischen ging es auch, wie es schien. Das Englische hat er, auch auf meinen Rat, hier gelernt soweit, daß man ihm ohne Gefahr von Mißverständnissen ein englisches Buch zum Nachlesen geben kann.

Sehen Sie nun einmal selbst zu, wie er sich macht, nachdem nun ein Stärkerer als ich ihm gegenübertritt, und er aus dem Kreise seiner Bewunderer glücklich losgeeist ist. ̶ Noch muß ich doch hinzufügen, daß damals, als er zu mir kam, 120 er auf meine Frage: Welchen Lebensplan er sich eigentlich gemacht habe, erwiderte: Er wünsche sich zunächst zu einem Observator auf einer Sternwarte auszubilden, worauf ich ihn gleich auf die großen Schwierigkeiten aufmerksam machte.

Mit den besten Empfehlungen an Thereschen

Der Ihrige

Gerling

Auf dem Umschlag von Gauß' Hand:
Klinkerfues
angekommen (bei mir)
♀ Mai 16

1[Brünnow, Franz Friedrich Ernst, 1821-1891, seit 1847 Direktor der Sternwarte zu Bilk bei Düsseldorf, 1854 in gleicher Stellung zu Ann Arbor (Michigan), 1865 in gleicher Stellung an der Universität Dublin und Astronomer Royal for Ireland. ]
2[Sybel, Heinrich, 1817-1895, Historiker und Politiker, 1841 Privatdozent, 1844 a.o. Prof. in Bonn, 1845 o. Prof. in Marburg, 1856 in München, 1861 in Bonn, 1879 bis 1895 Direktor der Preußischen Staatsarchive in Berlin. ]
3[Die in eckigen Klammern eingeschlossenen Ergänzungen sind im Original zerstört. ]
4[Ulrich, Georg Karl Justus, 1798-1879, seit 1817 Privatdozent, 1821 Prof. der Mathematik in Göttingen. ]