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Göttingen d[en] 10ten Juny 1827.

Mutter hat mir aufgetragen, lieber Vater, Dir heute in ihrem Namen zu schreiben. Du wüßtest wohl, daß sie überhaupt nicht gerne schrieb, heute wäre sie vorzüglich sehr unlustig dazu. Ein Paar Worte wird sie Dir indessen doch schreiben. Mutter ihr Befinden hat sich sehr gebessert. Sie bricht nicht mehr so viel, und fühlt sich auch weniger angegriffen. Noch heute meinte sie. Wenn wir besseres Wetter bekämen, und ihr Befinden sich fortan besserte, so könnte sie doch diesen Sommer wohl mal nach Großmutter ihrem Garten gehen. Wenn Du sie doch bei Deiner Zurückkunft etwas verändert fändest, wie sehr würden wir Alle uns darüber freuen. Mit dem schlechten Wetter aber ist etwas gar betrübtes; der halbe Sommer ist verstrichen, und wir haben nur erst wenige schöne [Tage] gehabt. Das hat auch Deinen Beobachtungen wohl im Wege gestanden und veranlaßt Dich gewiß Deinen Aufenthalt in Altona zu verlängern. Zu Deinem Empfange ist hier schon Alles bereit; rein und in der alten Ordnung.

Einen Besuch haben wir in Deiner Abwesenheit gehabt, lieber Vater, den verfehlt zu haben Dir gewiß sehr leid thun wird. Denke Dir: Gerling ist hier gewesen. Einzig in der Absicht, zu sehen wie es Dir ginge, und ob Du ihm auch nicht böse wärst. Mutter sagt, sie habe Dich öfter gebeten, ihm zu schreiben, Du habest aber auf der Meinung bestanden, als hättest Du zuletzt geschrieben. Gerling hingegen betheuert hoch und theuer, auf seinen letzten Brief, den er vor ungefähr 4 Monaten geschrieben hätte[1], keine Antwort bekommen zu haben. Zum zweiten male habe er nicht schreiben wollen, aus Furcht Du seiest ihm böse, da habe er es für das Beste gehalten selbst zu kommen. Er bedauerte Deine Abwesenheit ganz ungemein, war aber doch ganz vergnügt hier. Er kam am Donnerstag Morgen, und ging den Freitag nach Tisch wieder fort. Gerling hatte Dich nochmals bitten wollen, zur Feier des Jubiläums, das den 28sten July ist[2], nach Marburg zu kommen, würde sich so sehr darüber freuen.   ̶   In Deiner Abwesenheit sind noch mehrere Menschen hier gewesen, um Dich zu besuchen, Unter andern auch der Dr. Bader aus dem Badenschen. – Noch einer worüber Du Dich sehr wundern wirst: Ewald, wahrscheinlich um sich Dir als Professor zu präsentiren[3]. [...][4] hat recht früh sein Glück gemacht, man sagt er bekäme schon 300 rth. Gehalt. [...][5] indessen seine armen Eltern soll er sehr unterstützen. – Außerdem ist Göttingen um drei Hofräthe reicher geworden. Göschen, Mende und Hempel haben diese Auszeichnung erhalten. –

Wilhelm hat ein sehr vergnügtes Pfingstfest gehabt, er ist mit Stiederstett in Cassel gewesen. Den Sonnabend Morgen um 2 Uhr, ging er schon weg, und kam den dritten Fest[t]ag wieder. Des schlechten Wetters wegen haben die Wasser gar nicht gesprungen, Wilhelm ist des wegen auf Wilhelmshöhe gar nicht gewesen, und hat auch Manches andere nicht gesehen er ist indessen sehr befriedigt von seiner Reise, und Mutter auch sehr zufrieden mit seinem Wiederkommen. Dieses Vergnügen hat sehr vortheilhaft auf ihn gewirkt, und er fängt morgen mit desto größerem Eifer seine Stunden wieder an. Da er des Alltags so sehr beschäftigt und wirklich recht fleißig ist, so freut es mich für ihn immer doppelt, wenn sich ein außerordentliches Vergnügen darbietet.

2Aus Greifswald ist denn endlich auch Nachricht angekommen. Tante Louise ist von einem Söhnchen glücklich entbunden. Das Kind ist schon getauft, Du und Tante Caroline habt Gevatter gestanden, Du hast ihm den Namen Eduard ge[ge]ben. Louise ist ziemlich wohl, ihren Backen ausgenommen, woran sie noch unbeschreiblich leiden muß, es ist wohl ein ordentlicher Fistelschädel. Auch Höfer und die Kinder sind ganz wieder hergestellt. – Ganz unbeschreiblich unglücklich schreibt die Tante. Du hattest mit Recht vorhergesagt: der Schmerz werde noch schrecklich nachtoben. Es war ja auch fast unmöglich, daß sie mit ihrem lebhaften Temperamente, solches Unglück so gelassen ertrug. Sie schreibt: damals wäre ihr Herz wie mit einer Eisrinde umgeben gewesen, jetzt könne sie sich gar nicht in ihr Unglück finden, die verlohrnen Kinder fehlten ihr überall. –

Ein Paar Tage nach Deiner Abreise wurde ich mit Dir zu einem Balle nach Schulzens gebeten. Ich war nicht da, weil ich gar kein Verlangen habe den Umgang mit Louise Schulz fortzusetzen. Großmutter war gar nicht eingeladen. Jedoch vor ein Paar Tagen Wunder über Wunder, hat der alte Schulz Großmutter besucht und ist äußerst devot und freundlich gewesen. Großmutter hat in ihrem Benehmen auch keine Spur von Empfindlichkeit blicken lassen. Die spitze Antwort hat ihr aber immer auf der Zunge geschwebt: Herr Hofrath mein Garten freut sich sehr ihres Besuches.

Um einige Bräute ist Göttingen auch wieder reicher geworden; Amalie Meister heirathet ihren Schwager Salfeld, und die älteste Tochter von Göschen ist auch versprochen.

Eben ruft mich Mutter liebster [Vater], um mir zu sagen, daß sie Dir heute gar nicht schreiben könnte. Sie läßt Dir her[z]lich danken für die Caffeemaschiene sie hat sich sehr darüber gefreut, die Größe ist ihr auch sehr passend. - Daß Du noch nichts Bestimmtes über Joseph hast schreiben können, hat Mutter sehr betrübt, wenn er doch endlich erst Officier würde. Ruperti, mit dem Großmutter neulich davon sprach, war ganz empört darüber und sagte. Er würde gleich an Decken geschrieben haben. Mutter meint Du hättest Decken selbst gesehen und nachdrücklich [davon gespr]ochen. Auch ich sah Ruperti neulich in [...][6].

Großmutter, Wilhelm und Thereschen sind sehr wohl, und lassen Dich alle grüßen, wie auch Großmutter Waldeck. Thereschen feiert heute ihren Geburthstag mit einem Kinderthee. Wilhelm geht diesen Nachmittag zu Bergmanns, von da zu Großmutter zu einem Gastgebot.

Adieu lieber Vater

mit kindlicher Liebe Dein Töchterchen Minna Gauß.3

An
Herrn Hofrat Gauss.
anzugeben beim Professor Schumacher
in
Altona.
Palemaille.

1 Am 16.11.1826.

2 Das 300jährige Jubiläum der Universität Marburg.

3 Er wurde im Mai 1827 zum außerordentlichen Professor für orientalische Sprachen ernannt.

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