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Gauß, Eugen an Gauß, Carl Friedrich & Gauß, Minna. New York. 15. Mai 1831.

Theure Eltern,

Wo soll ich Worte finden, Euch Ihr Inniggeliebten tief Gekränkten meine Gefühle und Gedanken auszudrücken. Wie kann ich, der Eure Güte und Geduld so oft gemißbraucht habe auf Eure Verzeihung Anspruch machen, und wie kann ich auf Glück hoffen so lange mir diese fehlt. O haltet es nicht für leere Worte, glaubt es nur ich bereue tief meine Art und Weise zu handeln in Deutschland, nicht bloß weil ich mein irdisches Glück dadurch leichtsinnig verscherzt und verschleudert habe, sondern mehr unendlich viel mehr noch, weil ich Gott und Euch, die mir erwiesenen Wohlthaten mit dem schwärzesten Undank vergolten habe, dieses ist es was meine Lage fürchterlich macht. O meine Jugend, meine leichtsinnige schändlich vergeudete Jugend. Wie glücklich hatte ich leben können, Alles war vereinigt mir eine heitere ungetrübte Lebensbahn zu versprechen, und, o ich schleuderte es von mir dieses Glück, ich hielt mich für unglücklich, ich glaubte unnöthige Strenge in Euerem Langmuth zu erkennen; ich Thor, ich lächerlicher Thor, ich habe es nun was ich verlangte, ich habe das Ziel erreicht nach welchem ich strebte; o und was für ein Ziel Kummer, Reue und Sorgen und keine 2 Hoffnung auf eine bessere Zukunft! In der That ich bin hart bestraft, doch nicht ungerecht, ja selbst in der Strafe erkenne ich Gottes Güte, Gottes unendliche Geduld; denn mag sie noch so hart seyn die Strafe ich fühle es sie hat mich auf den Weg der Besserung geleitet, ich habe mich zu Gott dem allmächtigen und gütigen Vater aller Menschen gewendet, und er wird mir vergeben, er wird Alles zum Guten leiten. Oft wenn ich an Euch denke wenn ich auf der Vorstellung verweile, daß ich Euch wahrscheinlich nie, nie wieder sehen werde, könnte ich verzweifeln, und dann habe ich noch nicht einmal das Recht das Geschick anzuklagen, welches mich unglücklich gemacht hat, ich selbst bin es gewesen, der in halbem Wahnsinn, ohne Zweck, ohne Grund mich aller Segnungen, die der Himmel mir in so reichem Maaße gewährt hatte, von mir stieß; $-$ Ach Gott ich glaube auf dem ganzen weiten Erden Rund hat noch kein Mensch so unverantwortlich thöricht so lächerlich gehandelt wie ich es gethan habe. O möchte doch jeder Jüngling es wissen wie hart der Leichtsinn sich selbst straft, möchte doch jeder ein Beyspiel an mir nehmen, und sich bessern so lange es noch Zeit ist für Besserung.

Wie es mir hier in Amerika gegangen ist, kann ich mit wenigen Worten sagen. Am 19 December kam ich nach einer sehr stürmischen Seereise in New York an. Mehrere Aussichten auf Lehrerstellen täuschten mich, und nach einem 8wöchentlichen Aufenthalt in dieser Stadt sah ich mich wegen des ungeheuer hohen Preises der nothwendigsten Bedürfnisse, der den in Deutschland oft um das sechsfache über 3steigt, genöthigt, diese Stadt zu verlassen. Ich reiste in das Innere des Landes, aber vergebens, nirgends konnte ich eine Anstellung oder nur eine Aussicht, mein Brod zu erwerben, finden. Ich ging deshalb wieder nach einer der größeren Städte, und zwar nach Philadelphia, ich versuchte ein Handwerck zu erlernen, doch vergebens, die Amerikaner nahmen ihre Landsleute zu Lehrlingen, und Deutsche waren nur in geringer Anzahl hier; ich sah, wie mein Geld täglich abnahm und die Aussicht auf Erwerb täglich dunkler wurde. Der Kaufmann Bredekamp, der mich immer mit der größten Liebe und Güte behandelt hat, schoß mir freiwillig etwas Geld vor, doch auch dieß hatte keinen bessern Erfolg, ich war bald gänzlich von Gelde entblößt, mußte anfangen, meine Kleider zu verkaufen, und sah noch immer keinen Weg vor mir meinen Lebensunterhalt zu erwerben. O wie oft gedachte ich Eurer Liebe, der glücklichen Tage, wie mein Geschick noch in meiner Hand lag, wie ich noch frey von Sünde [?] und Schuld die Universität bezog, wie manche Thräne habe ich dann vergossen, wie manchen Abend verseufzt. Fern von Freunden und Verwandten, Thausende von Meilen von meinem Vaterlande entfernt, ohne Hilfe ohne Rath, was sollte ich thun? $-$ Glücklich mußte ich mich in der That noch schätzen, daß die Armee der vereinigten Staaten grade in dieser Zeit um einige tausend Mann vermehrt wurde, und in Philadelphia grade um die Zeit, da ich nicht wußte, wo ich ein Obdach finden sollte für die Nacht, ein Werbeofficier ankam. Ich ging zu ihm und ließ mich anwerben. Einige Tage da4rauf wurde unser Trupp nach Bedlaws Eiland dicht bey New York abgesondert. Es ist hier ein Fort, auf einer kleinen Insel, eine Viertelstunde im Umfang, wo wir liegen, bis wir zu unserm Regiment abgeschickt werden. $-$ Meine Lage hier ist so schlecht als möglich; wir haben harte Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, erhalten nur zweymal des Tages etwas zu essen, und niemals ein freundliches Wort. $-$ Mag es mir gehen wie es will, ich halte dieß Leben nicht aus, und hoffe bey dem Examen, welches der Doktor mit uns halten wird, bevor wir von hier abgesendet werden, wegen meiner Kurzsichtigkeit entlassen zu werden; wie ich mir meinen Unterhalt dann erwerben werde, weiß ich freilich noch nicht, doch mag es gehen wie es will; ich will lieber als Tagelöhner für den vierten Theil des gewöhnlichen Lohnes arbeiten, als länger hier Soldat seyn.

Das ist also das herrliche Ziel, wofür ich Eure Liebe verscherzt habe, wofür ich mir [?] Eure Liebe mit Undank vergolten habe! O könnte ich die zwey letzten Jahre noch einmal leben, wie ganz ganz anders wollte ich sie anwenden, o hätte ich noch einmal eine Gelegenheit, die Erfahrung die ich mir jetzt auf Kosten meines Glückes erworben habe, anzuwenden, wie glücklich würde ich mich schätzen. $-$ Doch ach wie kann ich es erwarten, wie kann ich es hoffen, auf dieser Welt ist kein Heil für mich, darf kein Heil für mich seyn wenn Gott gerecht, ist, möge er mir nur nach jahrelanger Buße Seeligkeit gewähren möge er mich nicht richten, wie ich es verdient habe, das 5 ist mein tägliches Gebet und mein Wunsch.

Wo werde ich endlich Ruhe finden, welchen Platz werde ich jemals meine Heimath nennen; Ach ein unstätes Leben ohne Freund ohne liebevolle Eltern ist das fürchterlichste Loos welches ein Mensch sich denken kann. Fremd bin ich wohin ich mich wende, der einzige Ort wo ich es nicht bin, ist mir auf immer verschlossen, verschlossen durch meine eigene Thorheit. Was in manchen Ländern als eine der größten Strafen gilt, habe ich selbst erwählt. Doch ich will nicht klagen, selbst dieses Recht habe ich verscherzt; sondern mich bestreben der Zeit würdig entgegenzugehen, wo Gott allen reuigen Sündern Vergebung verspricht.

Nur eins ist es theuere Eltern was ich von Euch bitte, eine Bitte, deren Versagung mich unendlich viel unglücklicher machen würde. Schreibt mir, und o schre[ibt mir] bald, schreibt mir Alle, die Ihr mich einst lie[btet].

Ach es ist so hart, fremd zu seyn, überall wohin man kommt; versagt mir meine Bitte deshalb nicht; deren Gewährung ich mit der höchsten Sehnsucht erwarte

Euer

reuevoller Sohn

E Gauß

Am sichersten und schnellsten würde ich einen Brief über Liverpool erhalten, unter der Addresse

To

Mr Eug. Gauß

New York

unitet states of America.

Care of Bredenkamp and Plump.

Pearl Street.

6

Pr Brig Chase via Hamburg.

Charles Gauss Professor

Goettingen

(Germany)