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      Göttingen, den 13. November 1831.

Ihre freundlichen Zeilen vom 25. September[1] , mein teuerster Gerling, haben mir wohlgetan, und ich hätte Ihnen längst dafür 377 danken sollen. Aber gewiß, Sie werden jetzt nicht so genau mit mir rechnen. Ein Lebenszeichen muß ich Ihnen endlich geben. Ja, ich lebe noch, und ich würde mich vielleicht auch körperlich gesund nennen müssen, da ich weiter keine bestimmte Beschwerde zu führen habe als über Schlaflosigkeit und Abspannung, die beide ihren Grund mehr außer als in dem Körper haben mögen. Aber, lieber Gerling, unbeschreiblich niedergebeugt fühle ich mich durch alle die Stürme, die mich seit 1 1/2 Jahren getroffen und an meinem innersten Lebensmark gezehrt haben. Lebensfreudigkeit und Lebensmut waren schon lange von mir gewichen, und ich weiß nicht, ob sie je wiederkehren werden. Was mich so schwer drückt, ist das Verhältnis zu dem Taugenichts in A[merika], der meinen Namen entehrt. Sie wissen, welche Nachricht ich vor 4 Monaten von ihm erhalten hatte. Ich sehe, daß es wohl gut gewesen wäre, wenn ich ihm damals in dem Sinne geantwortet hätte, wie Sie rieten, um ihm sofort jede Erwartung abzuschneiden: aber ich vermochte nicht, überhaupt zu antworten. Jetzt ist nun eine neue Epistel angekommen. Unschätzbar wäre es mir, wenn ich Sie, mein teurer Freund, zur Stelle hätte, wie in so vielen andern Rücksichten, so auch in der, daß Ihre bewährte Freundschaft und Ihr ungetrübter Blick meinem befangenen einen Stützpunkt geben könnte. Aber das Schicksal hat es nicht gewollt, mir diese Lebensfreude zu gewähren. Lassen Sie mich dann aber doch aus der Ferne, so gut es geht, Ihre Freundschaft in Anspruch nehmen, da aus naheliegenden Gründen hier niemand sich dazu eignet, mich darüber zu beraten. Ich lege den Brief selbst bei2 . Ich bitte Sie, liebster Gerling, mir Ihre Ansicht offen mitzuteilen und enthalte mich, um Ihr Urteil ganz unbefangen zu erhalten, den Eindruck anzugeben, den er bei mir gemacht hat. Nur das muß ich bemerken, daß ich nicht gesonnen bin, seine Sustentation abermals auf mich zu nehmen. Ferner, daß Bredenk[amp] der Kaufmann ist, der ihm die angewiesenen Gelder ausbezahlt hat und der, wie ich noch hinzusetzen muß, zuletzt noch die Vollmacht zur Auszahlung von 100 M. hatte auf den Fall, daß solches unumgänglich notwendig u[nd] der Empfänger würdig wäre. Diese 100 M. sind aber nicht trassiert u[nd] ich selbst habe auch nie direkte Nachrichten von Hrn. Br. gehabt. Nach diesen Umständen kann ich nicht anders als voraussetzen, daß die von mir rot unterstrichene Stelle eigentlich nicht mehr als die Präsumtion hätte enthalten sollen, „Br[edenkamp], von mir ersucht, werde ohne Zweifel jenes Geschäft übernehmen”, u[nd] daß sie nur geflissentlich so tourniert ist, als habe deshalb bereits eine Verabredung stattgefunden.

Noch einen wichtigen Umstand muß ich erwähnen. Meine nun dem Jammerleben enthobene Frau, deren Leiden in dem letzten 378 Jahre durch den Gedanken, einen so mißratenen Sohn zu haben, so schmerzlich $-$ach viel mehr, als ich in einem Briefe ausdrücken kann $-$geschärft wurden, hat in einem schon im vorigen Winter deponierten Testament jenen enterbt, doch mit der Bestimmung, daß er im Fall bewiesener Besserung vom Jahr 1838 an (2 Jahre nach erlangter Volljährigkeit) die Zinsen seines Anteils genießen, auch 5 Jahre später bei bewährter Besserung und Verwaltungsfähigkeit letzteren selbst erhalten soll. Diese Ansprüche sollen aber wegfallen, wenn er so entartet sei, jene Bestimmung selbst anfechten zu wollen, wo er auf den Pflichtteil beschränkt sein soll. Alle diese Bestimmungen sind mit größter Klarheit und Unzweideutigkeit abgefaßt; ob sie ganz die juristische Form haben, kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur nicht leugnen, daß ich sehr besorge, jener könne so entartet sein, und er werde vielleicht kaum die Zeit erwarten können, wo er die Möglichkeit hat, sich in den Besitz eines wenn auch nicht sehr bedeutenden baren Kapitals zu setzen. So peinigend mir eine solche Besorgnis ist, so sehe ich doch keine Möglichkeit, ihm in einer Antwort den Tod der Mutter u[nd] die testamentarischen Bestimmungen zu verschweigen. Gebe Gott, daß eine solche Besorgnis nicht in Erfüllung gehe oder daß wenigstens ich sie nicht erlebe.

Versagen Sie, lieber Gerling, mir Ihren Rat nicht. Sie haben überhaupt schon einen sicherem Blick in Lebensverhältnissen als ich, wieviel mehr also unter allen gegenwärtigen Umständen.

Auch mein jüngster Sohn macht mir Sorgen, obwohl von ganz anderer Art. Er ist solide, gern tätig und liebt sein Fach sehr. Er ist eben einen Monat lang hier gewesen. Meine Sorge ist also nur, daß er nächste Ostern, wenn er seine bisherige Stellung verläßt (wo er dann zwei Jahre behufs Erlernung der Ökonomie zugebracht hat), auf eine für seine weitere Ausbildung recht förderliche Art wieder untergebracht werde.

Die Stelle in Tübingen ist nun dem hiesigen Professor Schmidt angetragen u[nd], wie ich verstanden habe, hat er sie auch schon entschieden angenommen. (Mit 1200 fl. inklusive der aber sehr niedrig angeschlagenen Wohnung.)

Erfreuen Sie bald mit einer Antwort, mein teurer Gerling,

Ihren treu ergebensten

C. F. G.

1[Dieser Brief fehlt. ]
2s[ub] v[oto] remiss[ionis].