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Mein höchst verehrter Freund, das freundliche Interesse, welches Sie an den neuen Hülfsmitteln, den Geheimnissen des Erdmagnetismus beizukommen, worüber ich an Ihrer Seite am 19ten Sept. einen Vortrag[1] zu halten die Freude hatte, nehmen, macht es mir zur Pflicht, Ihnen, was über dessen Bewährung seitdem vorgekommen ist, zu berichten. $-$Im Märztermin d. J. ist nun abermals in Göttingen an beiden Apparaten beobachtet, aber diesmal stehn wir nicht mehr allein. Durch die Fürsorge unseres herrlichen, rastlosen Freundes Weber ist ebenso an drei ändern Orten beobachtet, 1) in München, nachdem Weber den Prof. Steinheil vollständig über die Einrichtung des Bifilar-Magnetometers unterrichtet und dieser sich ein dem hiesigen ganz gleiches hatte anfertigen lassen, 2) in Leipzig, wohin Weber einen freilich nur roh und modellartig hier angefertigten Apparat mitgenommen und den Prof. Fechner zu dessen Gebrauch angeleitet hatte, 3) in Berlin, wo Weber in aller Eile einen ähnlichen hatte ausführen lassen unter seiner eignen Leitung und Theilnahme. Die Resultate liegen jetzt vor mir, und alle 4 Intensitätscurven haben unter sich die nämliche bewunderungswürdige Übereinstimmung, ich möchte sagen militärisch gleichförmige Dressur, die wir solange an den Declinationscurven kennen. Große Bewegungen sind überall nicht vorgekommen, desto schlagender ist es, die Harmonie in den vielen kleinen zu erkennen. Die letzte, etwas unruhigere Stunde von 11 bis 12 Uhr Vormittags am 1. April habe ich nach der Ihnen bekannten Art, Declination und Intensität für jede Art in einer Curve gezeichnet, und mit wehmüthiger Freude die groß e Satisfaction der Übereinstimmung genossen.[2]

Warum mit wehmüthiger Freude? Es ist mir zu Muthe, wie wenn eine neue Welt entdeckt, der Weg hinein geebnet und dann auf einmal das Thor vor uns zugeschlagen wird! Das Fortbestehn unseres Organs, der „Resultate”,[3] wodurch für jetzt wenigstens die gemeinschaftliche Thätigkeit der Theilnehmer zusammengehalten wird, ja, das Fortbestehen meiner ganzen naturwissenschaftlichen Thätigkeit in Göttingen ist wesentlich an Weber's Erhaltung für Göttingen geknüpft.

Ich hatte früher große Hoffnung, Weber für Göttingen zu erhalten, sie sind in der letzten Zeit fast verschwunden. Ich setze jetzt fast meine letzte Hoffnung nur noch auf Sie. Möchten 68 Sie bei der jetzigen Anwesenheit unseres Königs in Berlin (wie ich eben aus der Zeitung sehe, ist er vorgestern dahin abgereist) einen günstigen Augenblick finden, die Zerstörung aller meiner Hoffnungen noch zu hindern und uns Weber zu erhalten. In dieser Beziehung theile ich Ihnen vertraulich alle dabei relevanten Umstände mit, damit Sie den bisherigen Gang und den jetzigen Stand beurtheilen können.

Ich brauche dabei dasjenige nur kurz zu berühren, was Ihnen ohnehin schon bekannt ist. Namentlich, daß Weber von allen übrigen der Sieben[4] durchaus unterschieden werden muß, wovon ich selbst meinen Schwiegersohn (Ewald) nicht ausnehme, sondern höchstens allein den jüngeren Grimm. Weber hat schlechterdings nichts weiter gethan, als die fünf Buchstaben seines Namens mit unter die für Göttingen so unglücklich gewordene Eingabe an das Universitätscuratorium am 18. November zu setzen. Er hat sich in gar Nichts Politisches gemischt, er hat nichts zur Rechtfertigung drucken lassen, die Gegenstände seiner Lehrvorträge haben nicht den entferntesten Zusammenhang mit Politik. Ich habe daher von Anfang an seine Wiedereinsetzung für möglich, ja bei gutem Willen von der ändern Seite für leicht gehalten. Aber direct habe ich weder an höchster Stelle, noch bei denen, die ihr am nächsten stehn, etwas thun können, aus Gründen, die theils sich nicht für einen Brief eignen, theils von Ihnen leicht zu errathen sind. Allein indirect habe ich manches versucht. Mehrere der Mittelspersonen mögen zu ohnmächtig oder vielleicht nicht ganz erwärmt gewesen sein. Aber einer der Wege schien wirklich dem Ziele sehr nahe zu kommen.

Unser Universitätsbevollmächtigter, Geheimer Legationsrath Laffert, der aber nicht in Göttingen, sondern in Ilefeld wohnt, hatte den Grafen Münster in das Interesse gezogen und meldete mir, daß dieser sich der Sache mit Nachdruck annehmen werde, und die beste Hoffnung gebe. Das Nähere erfuhr ich aber erst bei einer persönlichen Anwesenheit des H[errn] L[egationsrates] von L[affert] in Göttingen, mehrere Tage nach Webers Abreise nach Leipzig.[5] Graf Münster hatte seine Intercession[6] nicht persönlich beim König, sondern durch den Minister von Scheele eingelegt, und der König hatte sich geneigt erklärt, Weber wieder einzusetzen, „wenn Weber den ersten Schritt thue und wegen der sogenannten Protestation eine Entschuldigung mache”, so lauteten die Worte. Graf Münster erklärte diese Bedingung selbst für eine billige.

Ich meinerseits sah damit die Sache noch nicht als verloren an, da jene beiden Ausdrücke doch eine große Latitüde[7] zulassen. Heißt „den ersten Schritt thun” nicht, sich in Hannover anbieten, sondern nur die bestimmte Erklärung z. B. gegen mich geben, daß er zum Wiedereintritt bereit sei, so war dies ja etwas ganz Nothwendiges, da der König sich ja bei seiner Wiedereinsetzung nicht der Möglichkeit exponiren konnte, ein dementi zu erhalten. Und selbst das „eine Entschuldigung zu machen” schien die Möglichkeit einer Fassung, die mit dem feinsten Ehrgefühl verträglich wäre, nicht auszuschließ en. Aber jedenfalls war die Sache, auch nach H[errn] v. Lafferts Meinung, viel zu delicater Natur, um durch Briefe abgemacht werden zu können, zumal da Weber zunächst von hier in die Leipziger Atmosphäre übergegangen war, deren Neutralisation wohl in Berlin erwartet werden konnte. Es blieb mir also nichts übrig, als in einem Briefe an Weber mich im Allgemeinen zu halten, ihn von der Theilnahme an jedem präcludirenden[8] Schritte abzumahnen und seine Rückkehr abzuwarten.

Diese letztere verzögerte sich aber 3 bis 4 Wochen länger, als erwartet war, und in der Zeit hatte sich der Stand der Sache, wie es scheint, sehr verändert. Ich erhielt abseiten des Universitäts-Curatoriums, welches von dem Erzählten Kenntnis hatte, eine Eröffnung, daß 69 durch mancherlei inzwischen Vorgefallnes der König mehr als zuvor gegen die Sieben exacerbirt[9] sei, sehr positiv seine Abgeneigtheit, einen derselben wieder anzustellen, erklärt habe[10] , und schwerlich sich mit einer Erklärung, wie Weber sie etwa würde geben wollen oder können, begnügen werde, auf baldige Wiederbesetzung aller Stellen dränge u. s. w. Manches, was sich auf den letzten Punkt bezieht, übergehe ich jetzt mit Stillschweigen.

Ich habe es nun nach Weber's Rückkehr für bedenklich gehalten, auf dem zuerst geöffneten Wege durch Briefwechsel fortzuschreiten. Ich habe zwar Weber alles Wesentliche mitgetheilt. Aber mein Zartgefühl würde mir auch nicht einmal die Frage erlauben, ob er eine „Erklärung”, die wie eine Revocation[11] aussieht, zu geben fähig sei. In der That, ich selbst würde an seiner Stelle es nicht thun, selbst bei dem Gefühl, damals eine Übereilung begangen zu haben, und ob er je eine Anwandlung dieses Gefühls gehabt hat, hat mein Zartgefühl mir nicht erlaubt, jemals auf das Entfernteste zu berühren. Allein auch abgesehen von zartem Ehrgefühl würde sogar gemeine Klugheit verbieten, sich zu so etwas zu verstehn, denn in welche Stellung würde ein solcher zu seinen Collegen und zu den Studenten kommen! Ich brauche nicht zu erinnern, daß ich hier lediglich die Verhältnisse betrachte, wie sie in der aufgeregten Zeit einmal sind, ohne jetzt irgend eine eigene Ansicht über unsere öffentlichen Angelegenheiten auszusprechen.

In dieser Lage der Dinge verzweifle ich an der Möglichkeit, auf schriftlichem Wege etwas ausrichten zu können. Selbst auf mündlichem Wege etwas zu thun, war aus mehreren Gründen nicht ausführbar. Meine letzte Hoffnung beruht jetzt auf Ihnen. Sie kennen jetzt die Lage der Dinge vollständig, so weit ich sie selber kenne. Finden Sie einen günstigen Augenblick, so werden Sie ihn gewiß benutzen. Bewegen Sie den König, einen hochstehenden, harmlosen Gelehrten Göttingen wieder zu geben! Und warum nicht auf eine königlich groß müthige, für beide ehrenvolle Art, indem Er ihn in Anerkennung seines groß en wissenschaftlichen Werthes, alles Vergangene in Stillschweigen begrabend, wieder einsetzt. Ich bin fest überzeugt, daß dies einen überaus günstigen Eindruck machen würde. So viel kann ich hinzusetzen, daß es noch nicht zu spät ist, und zwar mit Gewiß heit.

Meine Tochter ist vorgestern mit Ewald nach Tübingen abgereist; ich habe seinetwegen keine Verwendung irgendwie auch nur versucht, da es gegen meine Handlungsweise ist, persönliche Rücksichten geltend zu machen. Göttingen wird seinen Verlust schwer empfinden. Unendlich schmerzlicher ist freilich mir die Trennung von meiner Tochter.[12] Möchte doch nun das letzte Band, was mich an Göttingen knüpft, nicht auch zerrissen werden! Aber weder Ort noch Zeit, noch Verhältnisse können je die Gefühle der Liebe und des Vertrauens schwächen, womit ich bin

Ihr innigster Verehrer

C. F. Gauß

[Göttingen, 13. 5. 1838]

1[Siehe Brief 23, Anm. 3. ]
2[Gauß hatte hiervon Humboldt schon durch den in Berlin weilenden Schumacher unterrichten lassen (Gauß an Schumacher, 18.4.1838. Peters 1860/65, 3, S. 200-201). ]
3[Gauß u. Weber 1837/43. ]
4[Siehe Brief 25, Anm. 1. ]
5[Weber hatte sich nach seiner Amtsenthebung nach Leipzig begeben und war von dort nach Berlin gereist, wo gerade Bessel und Schumacher zur Maßregulierung weilten. Schumacher berichtete von Altona aus am 7.5.1838 an Gauß : „Ich glaube, daß er [Humboldt] sich für W[eber] soviel interessirt, als er nur überhaupt sich für Jemand zu interessieren fähig ist.” (Peters 1860/65, 3, S. 202.) Weber ging dann nach England und von dort nach Paris; erst Anfang August traf er wieder in Deutschland ein. Übrigens war Humboldt gegen die Reise, solange seine Angelegenheit noch nicht unwiderruflich entschieden war (Schumacher an Gauß , 7.5.1838. Peters 1860/65, 3, S. 203). ]
6[Fürsprache. ]
7[Spielraum. ]
8[Versperrenden. ]
9[Erbittert. ]
10[Die breite Bewegung der Solidarität mit den Gemaßregelten und das mit der Empörung über den Verfassungsbruch verbundene Erstarken der liberalen Opposition hatten die Rachsucht des Königs noch vermehrt. ]
11[Widerruf. ]
12[Da Gauß keine Versuche unternommen hat, seinen Schwiegersohn Ewald und damit seine bereits recht kranke Tochter Minna, an der er doch sehr hing, in Göttingen zu halten, waren es offenbar tatsächlich in erster Linie die wissenschaftlichen, und nicht die Gründe der Freundschaft, die ihn zu seinem Eintreten für das Bleiben von Weber veranlaß ten. ]