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In der Literatur mehrfach falsch datiert: 13.7.1833.

Schon längst hätte ich Ihnen, mein innigst verehrter Freund, für Ihren so überaus gütigen Brief und die mir so ehrenvolle Bemühung, die Sie sich mit dem Artikel in den hiesigen G[elehrten] A[nzeigen] gemacht haben, meinen wärmsten Dank abstatten sollen. Ich habe damit gezögert, weil ich wünschte, damit eine gewisse Nachricht von dem hiesigen magnetischen Observatorium verbinden zu können. Es wurden dem Bau desselben (obwohl schon im Januar genehmigt) von Seiten der Stadt einige Schwierigkeiten in den Weg gelegt (der gewählte Platz streitig gemacht); jetzt sind dieselben beseitigt, der Bau hat begonnen und wird hoffentlich in kurzer Zeit beendigt werden. Daß von der Übersetzung, deren Sie den gedachten Artikel gewürdigt haben, in Paris ein öffentlicher Gebrauch gemacht sei, ist mir noch nicht bekannt geworden.[1] Inzwischen ist die Abhandlung selbst, obwohl sie erst in den 8-ten Band der Commentationes kommt (und der 7-te ist noch nicht ausgegeben, obwohl fertig), doch ausnahmsweise bereits gedruckt,[2] und ich bitte Sie, das angeschlossene Exemplar mit dem Wohlwollen, woran Sie mich gewöhnt haben, aufzunehmen.[3]

Daß die unbedeutenden Versuche, die ich vor 5 Jahren bei Ihnen zu machen das Vergnügen hatte, mich der Beschäftigung mit dem Magnetismus zugewandt hätten, kann ich zwar nicht eigentlich sagen, denn in der That ist mein Verlangen danach so alt, wie meine Beschäftigung mit den exacten Wissenschaften überhaupt, also weit über 40 Jahr;[4] allein ich habe den Fehler, daß ich erst dann recht eifrig mich mit einer Sache beschäftigen mag, wenn mir die Mittel zu einem rechten Eindringen zu Gebote stehen, und daran fehlte es 47 früher. Das freundschaftliche Verhältnis, in welchem ich zu unserm trefflichen Weber stehe, seine ungemein grosse Gefälligkeit, alle Hülfsmittel des Physik[alischen] Cabinets zu meiner Disposition zu stellen und mich mit seinem eignen Reichthum an praktischen Ideen zu unterstützen, machte mir die ersten Schritte erst möglich, und den ersten Impuls dazu haben doch wieder Sie gegeben, durch einen Brief an Weber,[5] worin Sie (Ende 1831) der unter Ihren Auspicien errichteten Anstalten für Beobachtung der täglichen Variation erwähnten.

Im gegenwärtigen Jahre habe ich meine Apparate hauptsächlich für den Electromagnetismus gebraucht, ferner für die Induction, die sich damit auf das schönste messbar machen lässt. In der allerletzten Zeit sind wir beschäftigt mit galvanomagnetischen Versuchen in Grossem Maßstabe.[6] Eine Drahtverbindung zwischen der Sternwarte und dem Physikalischen Cabinet ist eingerichtet; ganze Drahtlänge circa 5000 Fuss. Unser Weber hat das Verdienst, diese Drähte gezogen zu haben (über den Johannisthurm und Accouchirhaus[7] ) ganz allein. Er hat dabei unbeschreibliche Geduld bewiesen. Fast unzähligemale sind die Drähte, wenn sie schon ganz oder zum Theil fertig waren, wieder zerrissen (durch Muthwillen oder Zufall). Endlich ist seit einigen Tagen die Verbindung, wie es scheint, sicher hergestellt; statt des frühern feinen Kupferdrahts ist etwas starker Eisendraht (gefirnisst) angewandt. Die Wirkung ist sehr imponirend , ja sie ist jetzt zu stark für meine eigentlichen Zwecke. Ich wünsche nämlich zu versuchen, sie zu telegraphischen Zeichen zu gebrauchen, wozu ich mir eine Methode ausgesonnen habe; es leidet keinen Zweifel, daß es gehen wird und zwar wird mit Einem Apparat Ein Buchstabe weniger als 1 Minute erfordern. Will man mehrere Apparate und Ketten anstellen, so wird man durch Theilung des Geschäfts jede beliebige Geschwindigkeit erlangen können. Ein ganz ähnliches Princip wandte ich neulich zu telegraphischen Zeichen mit dem Heliotrop[8] an, wobei Herr Professor Weber beobachtete. Obgleich wir beide noch wenig eingeübt waren, wurde doch eine Phrase von 21 Buchstaben binnen etwa 7 Minuten transmittirt und zwar so, daß durchaus keine Zweideutigkeit Statt fand. Das Telegraphiren mit dem Heliotrop ist auf jede noch so grosse Distanz (wo nur die Erde offene Aussicht darbietet) anwendbar, aber freilich vom Sonnenschein abhängig. Allein dasselbe würde bei Nacht mit Lampen geschehen, und gern Distanzen von 6 oder mehr Meilen angewandt werden können. Dagegen wäre das Telegraphiren mit dem Electrogalvanismus von Wetter und Tageszeit gänzlich unabhängig und ich bin geneigt zu glauben, daß man mit Einem Schlage ungeheuere Distanzen anwenden könnte. Wäre nur zu den Kosten Rath zu schaffen, so meine ich, würde man unmittelbar von Göttingen nach Hannover correspondiren können. Ich habe selbst den Einfall gehabt, ob man in Zukunft, wenn erst Eisenbahnen allgemeiner sind, nicht die Gleise selbst (wobei man freilich zwischen den einzelnen Schienen sich dauernder metallischer Berührung versichern müsste) anstatt der Leitungsdrähte gebrauchen könnte. Freilich ist wohl zu besorgen, daß wenn diese Gleise lange Strecken feuchter Erde berühren, ein grosser Theil, wo nicht fast alles vom Strom sich unterwegs zerstreut; inzwischen kann doch nur erst Erfahrung irn Grossen hierüber entscheiden. Einige Versuche, die eine ähnliche Tendenz haben, werden wir bald anstellen.[9]

Ich schreibe diesen Brief eben inmitten einer Reihe von Versuchen, wo H[err] Professor Weber im Kabinet in vielfachen Combinationen (von Metallen und Flüssigkeiten) galvanische Ströme durch unsre Drahtkette schickt, um deren Stärke an meinem Apparate zu messen. Ein Halbdutzend sind angestellt, die alle (Eine ausgenommen) das Messungsvermögen meines Apparats weit übersteigen, d. i. Ausschläge von wenigstens 1000 Scalen48 theilen zu geben scheinen, während mein Apparat nur von $-640$ bis $+640$ geht. Nun, einem solchen Fehler wird schon abzuhelfen sein (mein Multiplicator hat 160 Windungen; ich brauche nur eben einen von 50 oder 30 zu substituiren). Während dieser Versuche bemerke ich indessen eine ungewöhnlich starke Schwankung der Nadel; die Declination hat in 1/4 Stunde (von 6 1/2 $-$6 3/4 Uhr, ♃[Donnerstag] Jun. 13) c[ir]ca 20 Scalentheile (etwa 7$\Gmin{}$ 20$\Gsek{}$) abgenommen; also irgendwo ein magnetisches Gewitter; eine Nachwirkung der galvanischen Ströme ist es nicht (die ich überhaupt für eine Einbildung halten möchte), denn meine beiden Apparate zeigen dasselbe. Ich sehe (etwas später 7h $\ldots$7 1/4h ), daß die Nadeln fast eben so schnell wieder umkehren.

Vielleicht ist Ihnen nicht uninteressant, wenn ich hinzufüge, daß für jene Versuche gar keine starken Säulen nöthig sind; ja heute Mittag wurde ein Versuch mit Einem Plattenpaare von nur 1 Zoll Durchmesser gemacht, wo doch der Erfolg noch immer viel zu stark war. Übrigens ist dieser letzte Umstand nicht so wunderbar, wie er anfangs scheint, denn da hier die grosse Drahtlänge den bei weitem grössten Theil des Widerstandes ausmacht, so ist dagegen der Widerstand in der Flüssigkeit auch bei sehr kleinen Platten nur ein Bruch davon und die Wirkung daher wenig stärker, wenn man auch noch so grosse Platten nehmen wollte. Anders verhält es sich aber, wenn man mehrere Paare (als Säule) verbindet, da ist die Wirkung beinahe der Anzahl der Plattenpaare proportional.

Soeben hat mir Weber angezeigt, welche Combinationen er gemacht hat (übrigens allemahl kleine Zink- und Kupferplatten). In vier Versuchen war der Erfolg für mich unmeßbar gross; dabei waren genommen:

1) 10 Plattenpaare mit 10 p[ro]c[ent] Salzwasser

2) 20 $-$10 p. c. $-$

3) 10 $-$20 p. c. $-$

4) 5 $-$20 p. c. $-$

Dagegen in einem fünften Versuch war die Wirkung zwar anfangs auch noch zu stark, aber nach einigen Minuten hatte die Kraft soweit abgenommen, daß sie meß bar wurde; sie betrug 602 Scalentheile (3° 40$\Gmin{}$), hierbei waren genommen

5) 5 Plattenpaare mit 10 p. c. Salzwasser.

Am merkwürdigsten war der sechste Versuch, wobei der Ausschlag nur mässig war, aber seltsam genug die Intensität beständig wuchs von 80 bis 160 Scalentheilen (1/2 Grad $-$1 Grad). Bei diesem Versuch waren 10 Plattenpaare gebraucht, aber die ganz neuen Tuchscheiben nur mit destillirtem Wasser getränkt. Morgen werden wir diese Versuche fortsetzen, auch einen neuen Modus des Telegraphirens, der mir inzwischen eingefallen ist, versuchen. Doch ich darf Sie nicht länger mit meinen zum Theil noch der Reife mangelnden Gedanken ermüden und schliesse, mich der Fortdauer Ihres Wohlwollens angelegentlichst und gehorsamst empfehlend:

C. F. Gauß

Göttingen, den 13. Junius 1833

1[Am 9.3.1833 hatte sich Humboldt bei Arago erkundigt, ob er die Übersetzung (siehe Brief 13, Anm. 3) erhalten habe, und fügte hinzu: „M. Gauss met un intérêt peut-être trop grand à ce travail qui l'occupe depuis un an et demi, [$\ldots$] tu me ferois surtout plaisir si le Tems (l'Oracle des Séances lu dans toute l'Allemagne) pouvoit donner l'heureuse nouvelle que l'Institut a eu connoissance de ce que mon ami, susceptible comme un géomètre, croit avoir découvert.” (Hamy 1907, S. 117-118.) Es machen sich hier gewisse Vorbehalte bemerkbar, die sich, wie in Anm. 5 erwähnt werden wird, noch verstärkten. Die sehr bescheidene Frucht der ganzen Mühewaltung Humboldts bestand übrigens lediglich in einer kurzen Mitteilung Aragos auf der Sitzung der Pariser Akademie vom 18.2., „qu'il a reçu de M. de Humboldt un extrait du Mémoire lu par M. Gauss, à l'Académie de Göttingen sur la Mesure de la forme absolue du magnétisme terrestre” und, wohl aufgrund des Humboldtschen Drängens, einer Ergänzung in der Sitzung vom 15.4.1833: „M. Gauss continue les expériences qu'il a entreprises, et dont il a été déjà rendu compte à l'Académie, pour la détermination de l'intensité absolue du magnétisme terrestre.” Die gleiche Formulierung wurde im „Temps” vom 17.4.1833 veröffentlicht. (Biermann 1963a, S. 210, Anm. 9; Biermann 1971a, S. 285.) ]
2[Gauß 1833. $-$In den Comm. Soc. Gott, rec., Cl. math., erschien diese Gauß sche Arbeit erst 1841 (Vol. 8, S. 3-44). ]
3[Stevens 1863, S. 240, Nr. 3271. ]
4[Diese höfliche, aber entschiedene Zurückweisung der von Humboldt in seinem Brief 13 geäußerten Vermutung, Gauß sei durch seinen Besuch bei ihm 1828 zur Beschäftigung mit dem Geomagnetismus angeregt worden, führte zu einer nicht unerheblichen Belastungsprobe ihrer freundschaftlichen Beziehungen. Humboldt reagierte sehr empfindlich auf diese Richtigstellung, wie seine Äuß erungen in Briefen an Encke und Bessel unmittelbar nach Empfang des Gauß schen Schreibens zeigen (Biermann 1963a, S. 210-211). An Gauß schrieb Humboldt nun drei Jahre lang nicht mehr. Tatsächlich hat Gauß schon 1803 Olbers gegenüber sein Interesse an der Erforschung des Erdmagnetismus bekundet (Biermann 1963a, S. 209-210), und er besaß bereits „im Jahre 1806 den allgemeinen Gedanken der Theorie des Erdmagnetismus, nämlich die Idee, das magnetische Potential der Erde nach Kugelfunktionen zu entwickeln und die Koeffizienten durch die Beobachtung zu bestimmen” (Schaefer 1929, S. 94). Aus einem Brief an Harding vom 28.11.1806 geht hervor, daß Gauß sich schon damals die Daten für seine allgemeine Theorie des Geomagnetismus zu verschaffen suchte. (Gauß 1863/1933, 12, S. 145.) Die intensive Erforschung des Erdmagnetismus durch Gauß begann praktisch mit dem Eintreffen Webers in Göttingen (Sept. 1831). In der Zusammenarbeit mit ihm suchte Gauß Ablenkung von seinem familiären Kummer; soeben war seine zweite Frau nach langem und qualvollem Siechtum gestorben, ein Jahr zuvor hatte sein Sohn Eugen in Unfrieden die Heimat verlassen. In dem jungen Weber fand Gauß das, was ihm keiner seiner Söhne hatte sein können: einen Partner im wissenschaftlichen Gespräch und in gemeinsamer Forschungsarbeit. $-$Hatte der in Anm. 2 zitierte Brief an Arago eine Relativierung der Gauß schen Leistung beinhaltet, so meldete Humboldt in dem erwähnten Brief an Bessel vom 14.7.1833 konkreter seine Zweifel an Gauß ' Ergebnissen an. Erst ab 1836 begann er, die Überlegenheit der Gauß schen Ergebnisse anzuerkennen. ]
5[Biermann 1971b. ]
6[„Sonderbare Nebenwege” nannte Humboldt nach Empfang des Gaußschen Briefes dessen telegraphische Versuche Bessel gegenüber (Biermann 1963a, S. 211). „Der alte Sömmerring hat vor 20 Jahren schon seine electrischen Telegraphen nach Paris gesandt; Baron Schilling von Cannstadt hat sogar Hoffnung, dieselben in Ruß land einzuführen, und als ich in Spanien war, 1799, hatte bereits Bétancourt an einem solchen Telegraphen, der die Schläge durch Batterien Leydner Flaschen erhielt, von Madrid nach Aranjuez gearbeitet”, heiß t es in einem Brief Humboldts an Schumacher noch am 2.4.1836 (Biermann 1963, S. 218) $-$auch hier dauerte es noch längere Zeit, bis sich Humboldt von der Überlegenheit der Gauß -Weberschen Erfindung überzeugt hatte. ]
7[Entbindungsanstalt. ]
8[Das von Gauß 1820 erfundene Instrument zur Reflektierung von Sonnenlicht in beliebiger Richtung. ]
9[Die ausführlichste Darstellung der Geschichte des Gauß-Weberschen Telegraphen bringt Feyerabend 1933. ]