Verzeihen Sie, hochverehrter Freund, daß ich wegen der Eile einer sehr baldigen Ersatzernennung[1] unseres berühmten, geistreichen Geognosten Leopold von Buch Sie mit diesen flüchtigen und doch bittenden Zeilen belästige. Man wünscht hier den Dahingeschiedenen 110 in seinem Fache ersetzt zu sehen und damit nicht, wie gewöhnlich, so viele Stimmen zwecklos vereinzelt bleiben, so wage ich es zum ersten Male, frei und schamlos zu werben und Ihnen vorzuschlagen, Sich gewogentlichst uns anzuschliessen und mit Ihrer Stimme von zwei Personen eine, den für Krystallographie und Oryktognosie sehr verdienten Geh. Bergrath und Professor Weiß , allhier, oder den vortrefflichen, vielseitig thätigen Geognosten, Berghauptmann von Decken in Bonn, des Hingeschiedenen theuresten Freund, zu beehren.[2]
Der junge Schönlein hat uns erfreuliche Nachrichten von Ihrer Gesundheit und Ihrem schönen geistigen Leben mitgebracht. Welche liebenswürdige Milde und Zartheit des Charakters ist nicht wieder ausgesprochen in Ihrem herrlichen Briefe über Eisenstein's Tod, den mir der brave Vater gezeigt![3] Ich danke Ihnen, hochverehrter Mann, im Namen der Menschheit, daß Sie uns das erhebende Schauspiel der grössten intellectuellen Mächtigkeit und Kraft, gepaart mit unverlöschlicher, anregender Wärme der Gefühle, darbieten. Diese Erinnerung, diese Vergegenwärtigung von dem, was man liebt und verehrt, ist wie ein Trost zu einer Zeit, die nach der Färbung meiner Meinungen und meinem Antheil an den Begebenheiten so niederschlagend auf mich wirkt.[4] Dazu das arithmetische Geisterklopfen,[5] die willkürlich hervorgerufene Begeistigung und Belebung von Fichtenholz und Stein, Tischen,[6] die wie „Hunde dressirt werden und des Menschen Organe werden” und aller Unsinn der Volksphysik, befruchtet durch das freche Halbwissen und den Mysticismus[7] der sogenannten höheren Klassen. „Wenn Sie die Begeistigung der Tische läugnen,” muß ich hören, „da[8] werden Sie wohl gar auch läugnen, daß man Wärme fühlt, wenn man den Südpol eines Magnetstabes, Kälte, wenn man den Nordpol berührt.” Unter diesen nicht erheiternden Eindrücken gewinne ich es doch über mich selbst, wenigstens nächtlichst (11h -3h morgens), wenn die stöhrenden Feinde schlafen, fleissig zu arbeiten. Ein mit dem Alter bei mir zunehmendes Übel ist minder die Abnahme der Kräfte, als Abnahme des Vertrauens auf die Kräfte, die einem bleiben; das verlangsamt die Arbeit.[9] Die Magenschwäche, an der ich von Jugend auf leide, nimmt sehr zu (Schwierigkeit der Verdauung).
Ich denke, daß noch in diesem Sommer der letzte Band des unvorsichtigen „Kosmos ”[10] und der erste Band der „Physikal[ischen] und Geognostischen Erinnerungen ”,[11] mit vielem Alten ganz umgearbeiteten vermengt, erscheinen soll. Von den Erinnerungen [12] sind 25 Bogen gedruckt. Ich flehe, theurer Freund, daß Sie mir auf diesen Werbe- und Klage-Brief nicht antworten und erneuere den Ausdruck der innigsten Verehrung und Liebe, die ich unverbrüchlich Ihnen geweiht habe.
Al. Humboldt
Berlin, 5. Mai 1853
Meine freundlichsten Grüsse an Weber und H[errn] von Waltershausen.
1[Im Orden Pour le mérite, Friedensklasse. ]