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Wenn ich, hochverehrter Freund und College, Ihnen diese wenigen Zeilen des Dankes für die wohlwollende Behandlung, die Sie dem Sohn eines überaus geistreichen Mannes, des königl. Leibarztes Schönlein, auf meine Bitte schenken, nicht durch diesen jungen Mann selbst schicke, so ist es, weil ich diesen vor seiner Abreise zu sehen versäumt habe.

Leider muß ich, ein 82jähriger Urmensch, meinem Danke auch schamvoll den Ausdruck eines Geständnisses meiner Schuld hinzufügen. Ich bin seit 8 Monaten unglücklich über den Verlust eines inhaltreichen, analytisch wichtigen Briefes[1] des vortrefflichen, armen, kranken, arbeitsamen Dr. Eisenstein, der ein gebundenes, Ihnen bestimmtes Exemplar seiner wichtigen Abhandlung über die positiven ternären quadratischen Formen[2] begleiten sollte. Bald habe ich geglaubt, ihn einem unzuverlässigen Reisenden anvertraut zu haben, bald, daß ihn meine Leute verloren hätten $\ldots$Tage lang habe ich zugebracht, nach dem Schatz zu suchen, ich, der ich nie Manuscripte[3] verloren, [heute] noch mit Bleifeder geschriebene Sonnenhöhen aus dem Jahre 1799 vom Gipfel des Pic von Teneriffa mich zu besitzen rühme.[4] Seit 8 Tagen ist der Zauber gelöst. Da ich im August mit dem König[5] auf dem „historischen Hügel” (Sanssouci) lebe und nur alle Woche einmal nach Berlin komme, so hatte ich in grosser Sorgfalt Brief und Abhandlung in eine Mappe mit Geldpapieren gelegt, auch den Anfang eines eigenhändigen Briefes an Sie, hochverehrter Freund, hinzugefügt. Gerade in dieser Mappe hätte ich einen algebraischen Schatz nicht gesucht. Schenken Sie mir großmüthig Verzeihung. Da Sie meine Lage und meine Thätigkeit für talentvolle junge Leute kennen, so schildert Ihnen nichts lebendiger die traurige Theilnahmslosigkeit unserer Zeit an allem, was nicht theologischer Dogmatismus oder reactionäre[6] politische Bestrebung ist, als das Fehlschlagen an allem, was ich für Eisenstein versucht, der immer noch nicht Professor ist und bei einem kümmerlichen, nicht einmal fixen, sondern von 3 zu 3 Jahren erneuerten Gehalte (400 Thalern!) darbt. Wie durch Ihre grosse Autorität er Mitglied der Gött[inger] Soc[ietät] geworden ist,[7] so hat ihn denn jetzt auch die hiesige Akad[emie] der Wissenschaften unanimiter[8] aufgenommen, wobei in den nächsten Jahren aber noch nicht einmal Aussicht zu dem kleinen Gehalte (200 Thaler) ist. Erhalten Sie ihm Ihre wohltuende mächtige Stütze und, da ich sehr daran arbeite, daß Eisenstein Corresp[ondant] de l'Institut[9] wird,[10] so flehe ich, daß Sie, wenn Sie Gelegenheit dazu 109 haben, auch einige schützende Worte nach jener westtürkischen Hauptstadt[11] sagen lassen. Der junge Mann ist dazu leichenblaß und in vollem Gange zur Lungensucht!

Ich suche mich noch immer, bei Tage grenzenlos gestöhrt, durch nächtliche Arbeit am letzten und 4. Bande des „Kosmos [12] zu zerstreuen. Mein kleines Unwohlsein diesen Winter war bloß Schnupfen und ohne Bedeutung. Möchte ich doch auch recht erfreuliche Nachricht von Ihrem uns so theuren Befinden vernehmen.

Die immer zunehmende Complication des Planeten-Systems mit Vervielfältigung der Erscheinung von sich durchschneidenden Bahnen und bisher nur in einer und derselben Zone des Weltraums, die electromagnetische Leitungsfähigkeit einer einzigen Gasart und einer so wichtigen, Licht nährenden des Sauerstoffs, die im Vergleich mit Wheatstone's Versuchen[13] so sonderbar verminderte Geschwindigkeit der electrischen Ströhme in telegraphischen Leitungen $\ldots$beschäftigen mich oft. Mit alter Bewunderung und Anhänglichkeit

Ew. Hochwohlg[eboren]

gehorsamster

Al. Humboldt

Berlin, den 25. April 1852

1[Eisenstein an Gauß, 20.8.1851; vgl. Humboldt an Eisenstein, 20.4.1852. Biermann 1959c, S. 153-154. ]
2[Eisenstein 1851. ]
3[D irrt.: Manuscript (statt „Manuscripte”). ]
4[Heute nicht mehr bei den Tagebüchern (Reisejournalen) Humboldts in der DSB Berlin. ]
5[Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. ]
6[D irrt.: revolutionäre (statt „reactionäre”). ]
7[Eisenstein war auf Gauß' Vorschlag am 9.8.1851 zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Sozietät der Wissenschaften gewählt worden. ]
8[Lat.: einstimmig. Eine kleine Übertreibung Humboldts; tatsächlich wurden in der Klasse am 15.3.1852 eine und im Plenum der Akademie am 25.3.1852 zwei Gegenstimmen abgegeben; vgl. Biermann 1958b, S. 81. $-$D irrt.: moniviter (?) (statt „unanimiter”). ]
9[Académie des Sciences, Paris. ]
10[Humboldts Versuche, Eisenstein die korrespondierende Mitgliedschaft der Pariser Akademie zu verschaffen, hatten keinen Erfolg mehr; vgl. Humboldt an Eisenstein, 15.6.1852. Biermann 1959c, S. 154. ]
11[Scherzhaft für Paris. ]
12[Humboldt 1845/62, 4, erschien 1858. Es blieb nicht bei diesem Band; auch noch für den 5. Band (1862) hat Humboldt Manuskriptteile geliefert. ]
13[Wheatstone 1834. ]