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Wenn ich nach so langer Unterbrechung einmal wieder Ihnen, Verehrter Freund und College, ein kleines Lebenszeichen gebe, so geschieht es in der festen Zuversicht, daß Sie noch immer mir die Vorliebe erhalten haben, deren ich so lange und zu meiner grossen Freude genossen. In einem Uralter von 81 Jahren, durch viele unliterarische Stöhrungen bedrängt, ist meine Gesundheit wundervoll doch so erhalten (kleine tiefeingewurzelte Magenübel abgerechnet), daß ich meine nächtliche Arbeit fortsetzen kann. Möge ich ebenso freudige Nachricht von Ihnen empfangen in einer Zeit, wo der politische Horizont so getrübt ist![1]

Jacobi's so unerwartetes Hinscheiden an schwarzen Pocken, und also nicht an der Krankheit Diabetes, die wir [an] ihm kannten,[2] ist ein großer Verlust für die Wissenschaft.[3] So 101 schmerzhaft mir auch, schon wegen seiner früheren Verhältnisse zu dem Könige, das ganz zwecklose und kindische Benehmen zu einer anderen Zeit,[4] so habe ich ausdauernd und mit Erfolg die Schritte gethan, die ihn Preussen erhalten konnten.[5] Meinen inneren Gefühlen ist er nie nahe gewesen.[6] Sein Tod regt mich nur an, endlich einmal dem talentvollen Eisenstein eine geziemende Anerkennung zu verschaffen.[7] Seine Lage ist unerhört dürftig, und es ist mir nie geglückt, ihm statt 300 Thlr., die ihm der Finanzminister gelassen, die 500 Thlr. wiederzuschaffen, welche ihm der König gegeben. Politische Anfeindungen sind gar nicht Grund dieser Entziehung gewesen, denn es war leicht, von der Seite ihn vollkommen zu rechtfertigen. Er hat, als man hier am meisten bewegt war, am ruhigsten seine besten Arbeiten vollendet.[8] Jacobi und Dirichlet hatten ihn vor wenigen Wochen mit vielem und gerechtem Lobe der Akademie zum Mitglied vorgeschlagen. Er wurde wirklich mit zwei anderen (dem Physiker Dubois und dem Zoologen Peters) in unserer Klassensitzung gewählt, konnte aber, da die Gesamt-Akademie nur 2 neue Mitgl[ieder] ernennen wollte und die Wahl der beiden anderen stimmreicher ausgefallen war, von der Gesamtakademie nicht ballotirt[9] werden.

Die grösste Autorität unter meinen[10] Zeitgenossen sind Sie, mein edler Freund!

Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab. Ich flehe , daß Sie in einem Privatbriefe mir jetzt wieder, wie Sie so oft und so kräftig gethan, einige recht freundliche Zeilen über die so vortheilhafte Meinung, die Sie seit dem frühesten Erscheinen von den Geistesgaben des jungen Mannes und seiner schönen, ausdaurenden Thätigkeit gehabt haben, [geben]. Wenige Zeilen von Ihrer Hand werden vom größ ten Troste sein!

Sie haben, Verehrter Freund, gewiß ein eben[so] lebhaftes Interesse als ich an den merkwürdigen Behauptungen von Sabine,[11] die in Phil[osophical] Trans[actions] for 1850, Part I, in seinem „Mem. on the means adopted in the Brit. Colonial Magnetic Observatories for determining the annual Variation of the terrestrial magnetic force” [stehen], genommen. Von October bis Februar, also in unserem nördlichen Winter (wenn die Erde der Sonne näher ist and moves with greatest velocity in her orbit) nähert sich in beiden Hemisphären in Toronto und Hobarton die Nadel der Verticalität, auch[12] wird in beiden Hemisphären zugleich die totale Kraft grösser, ob es gleich dann in Toronto am kältesten und in Hobarton am wärmsten ist. ”The North Inclination at Toronto is lowest and the South Ind. at Hobarton is highest in the respective summers of the two stations. From April to August the North Incl. at Toronto and the South Incl. at Hobarton are both diminished”, p. 215 und 216. Das ist mir neu und sonderbar, und obgleich Dove gefunden, daß von Oct. bis Febr. wegen der ungleichen Vertheilung des Festen und Flüssigen in beiden Hemisphären die Mitteltemperatur der ganzen Erde geringer ist als in der entgegengesetzten Periode des Jahres,[13] so kann ich im Ganzen jene Thatsachen mir doch nicht, wie Sabine will, aus der Nähe der Sonne oder der Temperaturveränderung deutlich machen.

Nach Faradays neuen Entdeckungen[14] wird ein Bläschen Sauerstoffgas ganz wie Eisen vom Magnet angezogen, Stickstoff ist ohne alle Wirkung, nicht einmal diamagnetisch, und Sauerstoffgas verliert von seiner magnetic power (ich schreibe nach), wenn man es verdünnt oder[15] seine Temperatur erhöht. Faraday behauptet16 , alle magn[etischen] Phänomene von Toronto und Hobarton zu erklären, indem er sich den Sauerstoff der Atmosphäre wie eine eiserne Hülle um die Erde denkt, die von ihrer magnet. Kraft auf der Seite verliert, an 102 der sie von der Sonne beschienen und erwärmt wird. Demnach wirkte die Sonne nicht eigentlich magnetisch, sondern magnetisirt die Erde durch Wärmevertheilung, durch Erregung thermoelectrischer Ströme. Das ist nicht neu et bien vague . Aber die Entdeckung, daß unter allen Gasen ein Bläschen Sauerstoff wie Eisen vom Magneten angezogen wird, ist eine grosse Entdeckung, die gewiß auch Salubrität[17] der Atmosphäre wirkt. Was man vergebens in veränderlichen Quantitäten des Sauerstoffs gesucht, wird man bald bei unveränderten Quantitäten in Zuständen suchen müssen. Vereinen Sie ja, daß ich Sie mit meiner microscopisch unleserlichen Hand so lange quäle, aber Magnetismus ist [Ihr] Reich, Ihre Lichtschöpfung; man widersteht nicht der Freude, Ihnen seine Zweifel über die sogenannten ursächlichen Verhältnisse vorzutragen.

Mit alter Verehrung und innigster Freundschaft

Ihr gehorsamster

Al. Humboldt

Berlin, den 22. Febr. 1851

Ob wohl Ihre reiche Bibliothek,[18] die auch meine alma mater gewesen und in der [ich] meine älteste, nie erschienene Schrift „über die Webereien der Alten”[19] zusammentrug, zufällig besitzt, was ich hier nicht auf treiben kann: Titius' Übersetzung von Bonnet's Betrachtungen über Natur, Leipzig 1772, eine Übersetzung, aus der Bode sein albernes Gesetz der Planetenabstände will geschöpft haben.[20] Ich möchte gern eine Abschrift der Seite 7 haben, in der Titius die Weisheit niedergelegt hat. In Bonnet's „Contemplations[21] de la Nature” finde ich nichts. Sagt wohl Titius, daß er es zugesetzt, ipse invenit?[22]

1[Durch die Herrschaft der Reaktion. ]
2[D: ...? kannte (statt „die wir [an] ihm kannten”). ]
3[Jacobi war am 28.2.1851 gestorben. ]
4[Humboldt hatte sich am 17.3.1850 Schumacher gegenüber über Jacobis politische Inkonsequenz mokiert, was dieser am 20.3.1850 Gauß mitteilte (Peters 1860/65, 6, S. 68-69). Vgl. auch Biermann 1973a, S. 52-53. ]
5[Bei seinem drohenden Fortgang nach Wien 1850; vgl. Biermann 1959c, S. 95. ]
6[Dafür finden sich zahlreiche Belege in den Briefen Humboldts an verschiedene Korrespondenten; siehe Biermann 1969b, S. 66. ]
7[Gauß hatte am 22.3.1850 Schumacher gebeten, Humboldt doch einmal wieder für Eisenstein zu interessieren (Peters 1860/65, 6, S. 70). Eines solchen Anstoß es bedurfte es freilich nicht, da Humboldt dauernd urn seinen Schützling bemüht blieb (Biermann 1959c, S. 120-121, 142-157). Aber er war „ganz entzückt”, aus Gauß ' Anregung zu ersehen, daß auch dessen Anteilnahme unverändert fortbestand (Schumacher an Gauß , 15.5. und 8.6.1850. Peters 1860/65, 6, S. 76 u. 83). Humboldt hat in seinen Eingaben immer wieder auf Gauß ', des „im Lobe kargen Mannes” (an Ladenberg, 11.3.1849. Biermann 1959c, S. 120), so vorteilhaftes Urteil über Eisenstein und auf die Tatsache hingewiesen, daß jener sogar einen Sammelband mit Eisensteinschen Abhandlungen (Eisenstein 1847) mit einer „Vorrede” begleitet habe. ]
8[Am 19.3.1848 war Eisenstein während der Kämpfe aus einem Haus, aus dem geschossen worden war, herausgeholt, festgenommen und ungeachtet seiner Versicherung, er habe dort nur Zuflucht gesucht und sei an den Geschehnissen unbeteiligt, mit anderen Gefangenen unter schweren Mißhandlungen durch die militärische Wachmannschaft in die Zitadelle nach Spandau gebracht worden. Am nächsten Tage erfolgte seine Freilassung (Biermann 1958b, S. 78-79, Anm. 11, und Biermann 1964c, S. 25). ]
9[Durch Abgabe einer weißen oder schwarzen Kugel für oder gegen die Aufnahme in die Akademie stimmen. $-$Näheres über die Wahl Eisensteins, der am 24.4.1852 Mitglied der Berliner Akademie wurde, bei Biermann 1958b. ]
10[D irrt.: seinen (statt „meinen”). ]
11[Sabine 1850. ]
12[D irrt.: und (statt „auch”). ]
13[Humboldt 1845/62, 1, S. 480, 4, S. 59. ]
14[Faraday 1851. ]
15[D irrt.: und (statt „oder”). ]
16Faraday (Proceedings of the Royal Society) in Philosophical Magazine, January 1851.
17[Heilsamkeit. ]
18[D irrt.: Obwohl auf Ihrer reichen Bibliothek (statt „Ob wohl Ihre reiche Bibliothek”). ]
19[Die Arbeit entstand in Göttingen 1789/90 unter dem Einfluß von C. G. Heyne; sie ist nicht erhalten geblieben. ]
20[Der durch Humboldt genannten Publikation von Titius 1772 hatte Bode das durch ihn bekanntgemachte (Bode 1772, S. 462) „Gesetz”der Beziehungen zwischen den mittleren Sonnenabständen der Planeten entnommen. Weder Bonnets Originalschrift noch die erste Auflage der Übersetzung von Titius von 1766 enthielt das „Abstandsgesetz”. Vgl. Humboldt 1845/62, 3, S. 441-444, 483-484; Urteil von Gauß: S. 443-444. ]
21[Richtig: Contemplation. ]
22[Lat.: Selbst gefunden hat. ]