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98 Sie sind, mein edler, hochverehrter Freund, immer so nachsichtsvoll und wohlwollend für mich, daß Sie mir gewiß gern die Lästigkeit dieser Zeilen verzeihen. Ich empfehle Ihrer freundlichen Aufnahme und Ihrem besonderen Schütze einen jungen Amerikaner, Herrn Benjamin Apthorp Gould , der, von einer sehr begüterten Familie abstammend, sich mit recht lobenswerthem Fleisse der praktischen Astronomie widmet. Herr Gould hat zu Encke's Zufriedenheit viele Monate an unserer Sternwarte gearbeitet[1] und (ich muß es schon wagen, das Wort auszusprechen) der achtungswerthe junge Mann hat den leisen[2] Wunsch, sich in Göttingen aufhalten zu dürfen, um unter Ihren Befehlen vielleicht Beschäftigung auf Ihrer Sternwarte zu finden. Ich habe ihm nicht besondere Hoffnung gemacht; ihm vorhergesagt, daß das Gelingen eines solchen Wunsches von Localverhältnissen abhinge, die aus der Ferne gar nicht zu beurtheilen sind. Eine freundliche Aufnahme aber, Verehrungswerther Freund, wenn sein Aufenthalt in Göttingen auch nur kurz sein müß te, konnte ich ihm verheissen, da ich weiß , so selten ich Ihnen auch Lebenszeichen gebe, wie freundschaftlich Sie immer noch für mich sind.[3] Herr Gould hat den guten Verstand, sich als Mathematiker mehr ausbilden zu wollen, als es in der „Schule der Central-Sonne” und des hohen Nordens[4] Sitte ist. Ich hatte ihn deshalb in Verbindung mit dem trefflichen leider! kränkelnden, mir immer gleich lieben, von den Berliner mathematischen Großmächten[5] wenig gepflegten Eisenstein gesetzt.[6]

Ich lausche in alter Bewunderung Ihres Namens, in alter Liebe Ihres Sinnes, auf alles, was mir Reisende von Ihrer Gesundheit, Ihren Augen, Ihren Anstrengungen sagen. Meine Gesundheit, 77 Jahre alt, erhält sich wundersam, aber die grosse Nähe eines geistreichen, literarischen und artistischen[7] Königs[8] setzt mich in einen bedrückenden, zeitraubenden Geschäftskreis. Meine literarische Arbeit ist fast nur eine nächtliche. Es fehlen nur noch einige Bogen zum 2. Bande des „Kosmos”,[9] eine Art unmöglichen Unternehmens, und der[10] Aufmerksamkeit nicht werth, die man dem Buche des gewagten Titels wegen geschenkt hat. Daß ich den hiesigen politischen inneren Verhältnissen glücklicher Weise ganz fremd stehe, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Unbefriedigte Aufregungen sind wenig erfreulich.[11] Mit alter Liebe und Verehrung

Ihr getreuester

Al. Humboldt

Berlin, den 23. März 1847

Ich müßte augenblicklich mit unserem Encke wegen seiner zu leidenschaftlichen Angriffe auf Raumer unzufrieden sein. Ich hatte deutlichst in der Akademie noch vor der Absendung des so elend stylisirten Briefes erklärt, daß ich Raumer's religiöse und politische Meinung ganz theile, aber glaube, daß er in[12] der Form gefehlt habe.[13] Das Verhältnis zwischen Raumer und Encke, wie auch das zwischen Encke und mir ist ganz hergestellt. Ich glaubte, Ihnen nichts verschweigen zu dürfen. 99

1[Encke selbst erzählte indessen Schumacher, er habe Humboldts Wunsch, dem „jungen Americaner förmlich Unterricht zu geben, geradezu abgeschlagen” (Schumacher an Gauß, 12.4.1847. Gerardy 1969, S. 191). ]
2[D irrt.: heissen (statt „leisen”). ]
3[Gauß erfüllte Humboldts Bitte; Gould konnte 1848 in Göttingen promovieren. Über Goulds Verhältnis zu Gauß gibt Dunnington 1955, S. 283-286, nähere Einzelheiten; vgl. auch Herrmann 1971. $-$Humboldt urteilte über Gould bei dessen erneutem Europa-Besuch 1851 so: „Gould habe ich oft und gern gesehen. Er ist ein Mensch von vieler Lebhaftigkeit der Intelligenz, aber etwas keck, streitsüchtig und eng national-amerikanisch.” (An Galle, 24.9.1851. Schloß archiv (West-) Berlin-Tegel.) ]
4[Damit ist Mädler in Dorpat (Tartu) gemeint, der durch seine Theorie einer „Zentralsonne” des Milchstraßensystems von sich reden machte und dessen mathematische „Räsonnements” besonders von Jacobi scharf kritisiert wurden (Biermann 1964a, S. 180). ]
5[Scherzhaft für die führenden Berliner Mathematiker, besonders Jacobi; siehe Anm. 5 zu Brief 38. ]
6[Eisenstein nannte Gould seinen „lieben Freund”, der, „ein sehr lieber junger Mann”, „bei seinem Vorhaben, sich in Europa astronomisch auszubilden, leider durch den Mangel an Teilnahme bei unsern Gelehrten schon sehr gekränkt und enttäuscht worden ist” (an Stern, Sommer 1847. Hurwitz u. Rudio 1895, S. 184). ]
7[An der Kunst interessiert. ]
8[Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. ]
9[Humboldt 1845/62, 2, erschien Ende November 1847. ]
10[D irrt.: die (statt „der”). ]
11[Humboldt sah voraus, daß die in den sogenannten Vereinigten Landtag Preuß ens (Eröffnung am 11.4.1847) gesetzten Hoffnungen auf Durchsetzung einer Konstitution und einer echten Volksvertretung nicht erfüllt werden würden. ]
12[D irrt.: an (statt „in”). ]
13[Raumer hatte am 28.1.1847 in einer öffentlichen Sitzung der Berliner Akademie in Anwesenheit des Königs dessen kirchlich-orthodoxe Regierungspraxis getadelt und war deshalb von Encke maßlos angegriffen worden. Das „Entschuldigungsschreiben” der Akademie an Friedrich Wilhelm IV. war durch gezielte Indiskretion in die Presse gelangt und erregte bei allen progressiven Kräften auch wegen seines servilen Tons höchsten Unwillen. Humboldt hatte nur einige Korrekturen in jenem, von ihm hier als „elend stilisirt” bezeichneten Schreiben erreichen können und sah sich wegen des öffentlichen Echos veranlaß t, sich vor Gauß zu rechtfertigen. Dabei ist wichtig, daß er in der Sache ganz Raumers Partei ergreift, der am 22. März aus der Akademie austrat. $-$Eine einseitige Darstellung bei Harnack 1900, S. 929-942. $-$Gauß wurde übrigens auch durch Encke über die Vorkommnisse unterrichtet (Bruhns 1869, S. 316). ]