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Unter allen Gräueln des Umziehens in eine entfernte, aber sehr gesunde und heitere Wohnung,[1] wage ich es, mein theurer, hochverehrter Freund und College, Ihnen einige Zeilen der Liebe, des Andenkens und unverbrüchlicher Ergebenheit zu senden. Entschuldigungen wegen langen Stillschweigens[2] sind bei meiner zerstreuten Lebensweise, nach 6monatlichem Aufenthalte in Paris,[3] einer darauf folgenden 13tägigen Reise nach Windsor,[4] (in der ich Armer! nicht einmal die Sternwarte oder meinen Buchhändler besuchen konnte), nach langer Umgebung des viel unternehmenden, geistreichen Monarchen[5] in Berlin, Charlottenburg und Sanssouci, einem fast 73jährigen Manne erlassen. Ich wirke, so viel ich kann, oft nur als eine Atmosphäre, bisweilen unmittelbar, spare die Nächte für meine literarischen Arbeiten und Correctur der Probebogen und mache thörichte Pläne zu künftigen Arbeiten, als hätte ich noch lange mich auf dem irdischen Boden zu tummeln. Der Russischen Reise (ich dachte einen Augenblick, über Schweden zurückzugehen) bin ich entgangen. Man hat gefürchtet, daß ich dem Mächtigsten[6] dort, politisch nicht angenehm sei. (Dies sehr im Vertrauen.) Nach dem Rhein werde ich den König begleiten.[7] Ein summender Bienenschwarm deutscher Fürsten wird dort hinziehen.

Der König hat den edlen Gedanken gehabt, den intellectuellen Ruhm seines Jahrhunderts und den der künftigen an den Ruhm des grossen Friedrich zu knüpfen.[8] Er hat aus Liebe zu diesem, dem die Theologie eine Mythe war, die Theologie ausgeschlossen, was Vielen auffallend sein kann. Daß Ihr grosser Name, mein theurer Freund, sich dem Monarchen zuerst und von selbst darbieten musste, bedarf keiner Versicherung.[9] Ich kann aber „specialiter”[10] bezeugen, daß, als der König mir zum ersten Male von diesem Orden sprach (ich rieth davon ab, weil ich vorher sah, daß alle nicht „Ernannten” mit Krallen[11] auftreten würden!) Er Ihren Namen schon mit Sanscrit-Buchstaben in die Liste eingetragen hatte. 86 Ich sage: mit Devanagari[12] -Buchstaben, eine Gewohnheit des heiteren Fürsten, damit man die offenen Blätter seines Tisches nicht leicht lese. Fürst Mett[ernich] ist eine launige Ernennung.[13] Die bösen Berliner sagen, es sei ein Gegenstück zu Daguerre:[14] aber Prof. Moser in Königsberg macht jetzt Lichtbilder bei Nacht.[15] Alle Körper, behauptet er, sind selbstleuchtend und bilden sich, genaht, auf einander ab. Daß ich für den „responsablen Minister” des Friedens-Ordens hier am meisten angegriffen werde, versteht sich von selbst, doch hatte ich nur Theil an den Discussionen vor dem König, zugleich mit drei Ministern, Eichhorn, Savigny und Thile. Über alle kleinlichen politischen und aristokratischen Neben-Ansichten erhaben, zeigte sich allein der König. Berühmte Namen sind auf den Listen verschwunden, weil man in den letzten Tagen erst den leidigen Entschluss fasste, statt 46 (gleich der Zahl der Regierungs-Jahre Fr[iedrichs] II.) nur 30 zu ernennen.[16] Viele Stühle wurden umgekippt. Hinc illae lacrymae![17] Aber ich schäme mich zu spät, Ihnen von diesen Elendigkeiten, unter denen ich leide, zu reden, statt Ihnen Glück zu wünschen über die riesenmässigen Fortschritte Ihrer magnetischen Schöpfungen. Darf ich Sie bitten, theurer College, dem Überbringer dieser Zeilen Herrn Dohrn, einen liebenswürdigen vielgereisten und talentvollen Mann, wohlwollend aufzunehmen und ihm zur Benutzung der herrlichen Bibliothek zu verhelfen. Handelsgeschäfte (in Stettin) halten den jungen Mann nicht ab, sehr gelungene metrische Übersetzungen des alten spanischen Theaters zu machen.[18]

Mit alter dankbarer Verehrung,

Ihr getreuester

Al. Humboldt

Berlin, den 3. Juli 1842

1[Die zu diesem Zeitpunkt bezogene neue Wohnung in der Oranienburger Str. 67 behielt Humboldt bis zu seinem Tode. ]
2[Wenn Humboldt auch zwei Jahre nicht direkt an Gauß geschrieben hatte, so hatte er ihm doch gelegentlich in der Zwischenzeit Grüß e ausrichten lassen; so schrieb er z. B. am 25.11.1841 an Rudolph Wagner: „Meine liebevollste Verehrung Ihrem erhabenen Geometer, in dem die Wissenschaft nichts hat erstarren lassen.” (Stargardt 1971, Nr. 508.) ]
3[Dieser Humboldtsche Aufenthalt in Paris erstreckte sich vom 30. Mai bis zum 8. November 1841. ]
4[Er war am 15. Januar nach England im Gefolge des preußischen Königs zur Teilnahme an der Taufe des späteren Eduard VII. abgereist und traf am 11. Februar wieder in Berlin ein. ]
5[Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. ]
6[Nikolaus I. von Rußland. $-$Friedrich Wilhelm IV. war ohne Humboldt Ende Juni nach Petersburg abgereist. ]
7[Humboldt fuhr am 30. August nach Köln zur Teilnahme an der Grundsteinlegung für die Restauration des Doms („Domfest” am 4. Sept.). Am 12. Sept. reiste er über Bonn, Stolzenfels (13. Sept.) und Koblenz nach Paris weiter. ]
8[Es handelt sich um die Stiftung der Friedensklasse des Ordens Pour le mérite, deren erster Kanzler Humboldt bis zu seinem Tode war. ]
9[Am 31.5.1842 wurden die ersten 55 Ritter des gen. Ordens ernannt. Es waren dies 30 deutsche sowie 25 ausländische Wissenschaftler und Künstler. Als Mathematiker erhielten nur Gauß und Jacobi den Orden. $-$Gauß hatte schon am 19.6.1842 die Insignien empfangen, dabei „nur ein lithographirtes Schreiben, worunter ein unleserlicher Name steht” (an Schumacher, 19.6.1842. Peters 1860/65, 4, S. 77). ]
10[Lat.: mit allen Kräften. ]
11[11 D: ... (statt „Krallen”). ]
12[Sanskritschrift. ]
13[Motiviert wurde die Ordensverleihung an Metternich mit dessen angeblichen Verdiensten als Förderer der Wissenschaften. ]
14[Auch der Erfinder der Daguerrotypie, Vorläuferin der Photographie, war unter den ersten Ordensrittern, als „Lichtbildner” ein „Gegenstück” zu dem „Dunkelmann” Metternich. ]
15[Moser glaubte, daß sich zwei Körper, wenn sie „hinreichend genähert werden”, auf einander abbilden. „Jeder Körper ist als selbstleuchtend zu betrachten, auch da, wo unsere Sehorgane nicht erregt werden.” (Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 164 v. 18.7,1842, [S. 4]). Humboldt äuß erte sich dazu auch in Briefen an Moser selbst, an K. L. v. Littrow und Encke. Über die Stellung Mosers in der Geschichte der Photographie vgl. Baier 1964, lt. Reg. S. 696. ]
16[Siehe ob. Anm. 9. ]
17[Lat.: Daher jene Tränen (Terenz: Andria, 1, 1). ]
18[Humboldt besaß in seiner Bibliothek von C. A. Dohrn übersetzte Spanische Dramen in 4 Bänden, Leipzig 1841/44 (Stevens 1863, Nr. 2341). ]