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Wenn ich Ihnen, theurer, hochverehrtester Freund, über die traurige Lage der Dinge einige Tage später schreibe, als ich es in meinem nach Hamburg an den lieben Weber gerichteten Brief ankündigte,[1] so liegt der Grund davon bloß darin, daß ich in den letzten Tagen der Anwesenheit des Monarchen mich noch in dem Resultate meiner Forschungen bekräftigen wollte. Ich werde es über mich zu gewinnen wissen, daß auch in diesem heutigen Briefe der Ausdruck jedes anderen Gefühls als der des Schmerzes unterdrückt werde. Die Betrübnis, mit der wir uns in Göttingen verließ en,[2] war wie mit bösen Ahnungen gemengt. Einige Hoffnung war mir zu Auswegen geblieben: Ihr herrliches letztes Schreiben, voll Weichheit des Gefühls, aber auch voll männlicher, edler Stärke des Charakters, forderte mich auf, Schritte zu thun, um die Möglichkeit zu messen.[3] Das habe ich, mit Vorsicht, bloß in meinem Namen, als Landsmann und persönlicher Freund Wilhelm W[eber]s, als Zögling der berühmten Hochschule, als derjenige in Europa gethan, den die plötzliche Stöhrung der groß en Arbeit über den tellurischen Magnetismus, welche Sie vollenden und welche Ihren Methoden das Dasein verdankt, am tiefsten bewegen muß . So freundlich sich auch der König[4] oft, während des Wirrwarres des hiesigen Hoflebens, mir genähert, so war aus Gründen, die Sie kennen, auf freimüthige persönliche Erläuterung keineswegs zu rechnen. Ich konnte aber zwei überaus wohlwollende und von dem Monarchen sehr geachtete Personen anwenden, den General v. L-g.[5] und den Gr. K-z.[6] Beide haben all' den Eifer in der Sache gezeigt, den man selbst von eigentlichen Gelehrten kaum hätte erwarten dürfen: sie haben beide auch den Abstand gemessen, die Grenze bestimmt, welche zu überschreiten moralisch unmöglich ist. Es würde sich für diesen Brief, den ich unter vielen Stöhrungen schreibe, nicht eignen, Ihnen, hochverehrter Freund, Nachricht von den einzelnen Schritten und von allen Äusserungen jener zwei Personen zu geben. Ich beschränke mich 71 auf das allgemeine Resultat. Der König würde nach der Energie, die zu behaupten er glaubt, gezwungen gewesen zu sein, gern Milde zeigen: er würde freundlich einen Antrag aufnehmen, wenn mit dem Gesuch über das Wiedereinsetzen in die vorige Stelle Entsagung, und zwar deutlich ausgesprochene, der früheren Protestation verbunden wäre. Die Einwendung, daß ein solches Gesuch um die nicht vergebene Stelle ja stillschweigend das Versprechen involvire,[7] sich vor politischen Urtheilen und Einmischungen entfernt zu halten, hat nicht gefruchtet. Es muß eine Entsagung des für irrig Gehaltenen ausgesprochen sein. Es würde nicht genügen, wenn man sage, die früheren Äusserungen wären miß verstanden, als zu feindlich interpretirt worden: es hätten sich dieselben mehr auf die inneren Regungen des Gewissens bezogen; Lehrvorträge der Physik wären ja ohnedies allen solchen[8] Beziehungen auf die Gegenwart fremd; man wünsche (aus Leidenschaft für die Wissenschaft, um nicht eine Arbeit zu stöhren, an der das ganze gebildete Europa Theil nehme, das über Göttingen Glanz verbreite, der Schiffarth so heilsam werden könne) einen talentvollen Physiker, als mitwirkend in Ihrer Nähe zu erhalten $\ldots$

Die Antwort ist immer gewesen, die Bedingung ausdrücklicher Entsagung sei unerlässlich, da der König bei dem Zwecke, den er durchsetze, nicht inconsequent sein dürfe, da er sonst anderen deutschen Fürsten (der König von Württemberg[9] war in Berlin) das Recht zugestehen würde, die Ausgeschiedenen anzustellen. Ich schreibe dieses mit tiefem Schmerze, weil mir jetzt keine Annäherung möglich scheint. Gesetzt auch, daß die Sprache Wendungen darböte, welche jene Ansprüche und das innere Gefühl gleichzeitig befriedigten, so ist nur zu wahrscheinlich, daß nicht der Brief (das Gesuch) selbst in H[annover] veröffentlicht würde, sondern daß die H[annoversch]e Zeitung bekannt mache, Se[ine] Maj[estät] hätten geruht, die Stelle wiederzugeben, weil der Bittsteller sein voriges Unrecht eingesehen. Der Monarch wäre selbst vollkommen berechtigt, dem Gesuche eine solche Deutung zu geben. So streitet also in dem Conflict, der jetzt mit einem Theil der Stände statt findet, das politische Interesse der executiven Gewalt oder vielmehr die Ansicht von diesem Interesse, mit den moralischen Pflichten und Gefühlen unseres Freundes; nicht daß ich in dem unglücklichen Feldzuge einen Separatfrieden schlechterdings für unmoralisch halte, aber in dieser Sache sind auch andere Bedenken, welche aus der Lage eines öffentlichen Lehrers, aus der aufgeregten Stimmung des grösseren Theils der. akademischen Jugend entspringen. Ich glaube, mein theurer Freund, in dieser mir und den Wissenschaften so wichtigen Sache alles gethan zu haben, was möglich war. Es sind unmittelbare Entscheidungen erlangt worden. Es ist auch schon etwas gewonnen, den jetzigen Standpunkt bestimmt bezeichnen zu können. Wäre ungeschehen, was geschehen ist, so würde ich freilich meine Erinnerungen aus Frankreich anrufen, wo ich so vielem Wechseln der Regierung und Constitutionen beigewohnt habe. Glücklich ist es, wenn wissenschaftliche Institute den Einwirkungen jener politischen Wechsel fremd bleiben können, ich sage Institute, denn daß ich nicht das Gräuel begehe, zu wollen, daß der Gelehrte nicht Staatsbürger sei, daß er fremd bleibe dem, was durch die bürgerlichen Einrichtungen auf die Fortschritte der Intelligenz, auf die Veredlung der Menschheit, auf die freieste Communication der Ideen und Gefühle wohlthätig gewirkt wird, trauen Sie mir (bei den Meinungen, die ich 40 Jahre lang öffentlich ausspreche und in meinen Schriften verkündige) von selbst zu. Da wichtige, dem Monarchen sehr ergebene Personen in diesen Anfragen (die als bloß von mir ausgehend gemacht wurden), mit der größ ten Gutmüthigkeit gewirkt haben, so bitte ich Sie, theurer-Freund, diesen Brief als für Sie allein geschrieben zu betrachten. 72

Ich habe nicht Muße, ja ich darf leider! sagen nicht Stimmung, von unseren wissenschaftlichen Lieblingsgegenständen mich mit Ihnen zu besprechen oder auf die Punkte zu antworten, die Sie so geistreich in Ihrem Briefe berühren. Ich habe den schönen Bifilarbeobachtungen[10] hier beigewohnt und die Schärfe bewundert, mit der jetzt die Intensität der Winkelmessung unterworfen werden kann. Auch der kleine Apparat,[11] mit dem W[eber] hier die absolute Intensität nach Ihrer Methode bestimmte, hat mir viel Freude gemacht.

Ich höre von dem vielschreibenden H[errn] Gaimard, daß er Sie gebeten habe, die franz. Commission[12] von Astronomen und Physikern, die die lange Nacht am Nord-Cap zubringen sollen, bis zum Herbste mit Ihrem Spiegel-Apparat zur stündlichen Declination versehen zu lassen. Gaimard, der leider! die böse Gewohnheit hat, alles drucken zu lassen, was man ihm schreibt, ersucht mich in einem letzten Briefe,[13] Sie zu bewegen, jenem Apparate auch die kleinen, zur absoluten Intensität beizufügen. Herr Martin, der franz. Gesandte in Hannover, werde alles pecuniäre besorgen. Es wäre allerdings unglücklich, wenn jene einzige Gelegenheit, correspond[ierende] Beobachtungen zu Ihren Terminen zu erhalten, unbenutzt bliebe. Ich habe Ihren ersten Theil der Beob. an Gaimard geschickt. Möge aus Upsala oder Stockholm jemand dabei sein, der mit den Apparaten recht umzugehen wisse. Ich will bei Encke, da ich selbst in einigen Wochen vor dem 27. Jun[i] zur Teplitzer Reise mit meinem König Berlin verlasse,[14] die so eben erhaltenen Observations magnétiques de Mr. Lettin in Island und Grönland 1835-1836 deponiren, ein Heft von 224 Seiten mit vielen graphischen Darstellungen gleichzeitiger Beob. von Paris und Island 10.-28. Aug. 1836. Sollten Sie es noch nicht besitzen, so wird es Ihnen Encke schicken, sobald Sie es befehlen. Der unselige Streit zwischen diesem unseren Freunde und Bessel betrübt mich über alle Maßen.[15] Es ist ein heilloser Zustand, daß ein Königsberger Astronom nicht unsere Berliner Sternwarte glaubt besuchen zu dürfen $-$und jetzt haben Schumacher und ich nichts, nichts erlangen können. Auch hier muß die Zeit heilen.

Von dem Treiben, das mich seit 3 Wochen fortgerissen, neben 80 Briefen, die ich in einer Woche empfangen, zugesandten Büchern, die ich allen Kaisern, Königen, Großherzögen und Infusions-Prinzen[16] übergeben soll $-$haben Sie keine Idee. Dazu 3-4 Correcturbogen meiner Geogr. des 15. Jahrhunderts aus Paris,[17] eine in der Akademie gehaltene Vorlesung[18] und Schreien um Manuscript zur Fortsetzung des Druckes $\ldots$Sie beklagen mich gewiß.

Mit inniger Liebe und Verehrung

Ihr

Al. Humboldt

Berlin, den 9. Jun[i] 1838

In den Briefen, die ich unserem W[eber] an den Herzog von Sussex[19] und Baily[20] mitgegeben, habe ich sehr auf Erleichterung oder Übernahme des Drucks der magnet. Beob. gedrungen. In dem Journal der Geogr. Soc. ist von mir ein Brief über die nothwendige Verbreitung Ihrer Methoden abgedruckt.[21] Herzliche Grüsse an Herrn Dr. Goldschmidt.

1[In einem Brief vom 29.5.1838 hatte Humboldt Weber über die Schritte unterrichtet, die er aufgrund des Gaußschen Schreibens vom 13. Mai (Brief 27) während der Anwesenheit des hannoverschen Königs in Berlin zu Webers Gunsten unternommen hatte. Das Schreiben, das Weber erst in London am 5. Juni erhielt, ist uns nur durch die Abschrift bekanntgeworden, die Weber in einen Brief an Gauß vom 18.6.1838 aufnahm (Wiederkehr 1964, S. 194-197, insbes. S. 195-196). Sein Inhalt deckt sich weitgehend mit dem Bericht, den Humboldt im folgenden Gauß erstattet. Es gelang Humboldt nicht, irgendetwas Annehmbares für Weber zu erreichen. Humboldt war nicht damit einverstanden, daß Weber in diesem Augenblick eine Auslandsreise unternahm (Schumacher an Gauß , 7.5.1838. Peters 1860/65, 3, S. 203). Auch Gauß hielt den Zeitpunkt für unpassend (an Weber, 12.3.1838. Wiederkehr 1960, S. 53). ]
2[Im September 1837, als Humboldt zum Universitäts-Jubiläum in Göttingen geweilt hatte; siehe Brief 23. ]
3[D irrt.: wissen (statt „messen”). ]
4[Später zitierte Humboldt zur Charakterisierung dieses Despoten dessen Ausspruch: „Professoren haben gar kein Vaterland; Professoren, Huren und Tänzerinnen kann man überall für Geld haben, sie gehen dahin, wo man ihnen einige Groschen mehr bietet.” Humboldt fügte hinzu: „Welche Schande, das einen deutschen Fürsten zu nennen!” (An Varnhagen, 6.4.1842. Humboldt 1860, S. 118.) Auf die eben wiederholte Äußerung entgegnete Humboldt dem König: „Eine Art Professor bin ich selbst, die beiden anderen Klassen jedoch kenne ich nicht.” (Beck 1959, S. 187.) ]
5[D irrt.: C ... ? (statt „L-g”). In dem in ob. Anm. 1 erwähnten Brief Webers an Gauß wird der Name ausgeschrieben: Lang. ]
6[D irrt.: H-z (statt „K-z”). In dem in ob. Anm. 1 erwähnten Brief Webers an Gauß findet sich der Zusatz, daß es sich um den preuß ischen Gesandten handelt. Damit ist erwiesen, daß Kanitz (richtig: Canitz) gemeint ist, der Preuß en in Hannover vertrat. ]
7[Einschließe. ]
8[D irrt.: soliden (statt „solchen”). ]
9[Zwischen ihm (Wilhelm I.) und dem König von Hannover bestand eine persönliche Antipathie, die ihn veranlaßte, der Berufung von Ewald nach Tübingen zuzustimmen. ]
10[Über Gauß' Bifilarmagnetometer siehe Gauß u. Weber 1837/43, [2], S. 20-37, sowie Schaefer 1929, S. 54-62. ]
11[„Das transportable Magnetometer” von Weber; siehe Gauß u. Weber 1837/43, [3], S. 68-85. ]
12[Die Expedition der Commission scientifique du Nord, zu der u. a. die in diesen Briefen genannten Lottin, Bravais und Martins gehörten, fand in den Jahren 1835 bis 1840 statt (Humboldt 1845/62, 4, S. 65). ]
13[Der Brief liegt nicht vor. ]
14[Die Reise fand erst rd. einen Monat später statt. ]
15[Dieser von beiden Opponenten mit Leidenschaft und Empfindlichkeit geführte Streit hatte sich an der Frage entzündet, ob eine durch Bessel gegebene Erklärung des Mangels an einem Passageinstrument einen „inneren Widerspruch” enthalte. Humboldt äußerte sich hierzu gegenüber Schumacher am 1.5.1837 so: „Die dumpfen, unbestimmten Abneigungen, die nicht auf einer Thatsache beruhen, sind am schwersten zu besiegen. [$\ldots$] Auch zwischen Königsberg und Göttingen [d. h. zwischen Bessel und Gauß ] herrscht eine unbehagliche `température philosophique' aus eben so unbestimmten Ursachen.” (DSB Berlin. Nachlaß Schumacher. $-$Über die Abkühlung des Verhältnisses von Gauß zu Bessel siehe Biermann 1966.) Der Streit zwischen Encke und Bessel spiegelt sich u. a. in dem Briefwechsel zwischen Schumacher und Bessel wider (ZAAdW Berlin. Nachlaß Bessel); zu Gauß ' Haltung in dieser Auseinandersetzung vgl. Gerardy 1969, S. 88-95. ]
16[Scherzhafte Bezeichnung für unbedeutende Prinzen in Anlehnung an „fossile Infusionsthiere, wie sie Ehrenberg's allbelebendes Microscop entdeckt” (Humboldt 1845/62, 1, S. 27). ]
17[Humboldt 1836/39. ]
18[Humboldt 1838a. ]
19[D irrt.: Sachsen (statt „Sussex”). $-$Es handelt sich um einen Empfehlungsbrief vom 29.5.1838 für Weber und den ihn zeitweise begleitenden Poggendorff. Humboldt erwähnt darin die „recherches simultanées du magnétisme terrestre, si puissament perfectionnées par le génie du grand Géomêtre de Gottingue, Mr. Gauß”, und daß Weber, „le compagnon infortune de Mr. Ewald, gendre de Gauß ”, „est l'ami intime et le collaborateur de Mr. Gauß ” (Wellcome Historical Medical Library, London). Übrigens hat Weber den Brief nicht selbst abgegeben, da er „davon keinen groß en Erfolg” erwartete (an Gauß , 5.7.1838. Wiederkehr 1964, S. 201). ]
20[Dieser Brief liegt nicht vor. ]
21[Brief an die Royal Geographical Society of London vom 10.1.1838; Humboldt 1838b, insbes. S. 136. ]