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Verehrungswerther Freund! Ich erhielt Ihre wichtige, langersehnte Schrift über den tellurischen Magnetismus in den letzten Tagen meines Aufenthalts in Potsdam. Erst von hier aus, wohin ich den König, wie immer,[1] begleitet habe, kann ich Ihnen meinen innigsten Dank für Ihren liebevollen Brief und für die vielfache Belehrung, welche mir jene Schrift[2] gegeben, darbringen. Ihr grosser Name und die völlige Umgestaltung der Beobachtungen, welche Sie geschaffen und verbreitet haben, hat jetzt eine Association[3] zu Stande gebracht, deren Früchte allmälig die Entzifferung „jener geheimnisvollen Hieroglyphenschrift” sein wird. Auf mehr als zwanzig Punkten sind jetzt schon Ihre Instrumente aufgestellt und der Vorzug, in Zwischenräumen von so wenigen Minuten mit bewundernswürdiger Genauig58 keit die Winkel messen zu können, ist ein Gewinn, den niemand verkennen kann. Was bei mir bloß Wunsch und schwaches, unvollkommenes Beginnen war, ist durch Sie, hochverehrter Freund, jetzt in's Leben gerufen.[4] Das Auge ruht mit einem besonderen Genüsse auf diesen Tafeln, denn, wie Sie so schön und beredt sagen, „ein eigenthümlicher Zauber umgibt das Erkennen von Maß und Harmonie im anscheinend Regellosen”.[5] Von ganz besonderer Wichtigkeit sind mir p. 90-103[6] gewesen, wo Sie manche Winke über den tiefen Zusammenhang gleichzeitig wirkender einzelner Kräfte geben. Die Beschreibung der Apparate und ihrer Behandlung[7] ist klar und lichtvoll, wie alles was unserem Wilhelm Weber aufgetragen wird. Ich habe seit Monathen in Berlin einen Abdruck der theils von mir angestellten, theils seit meiner sibirischen Reise gesammelten unvollkommenen stündlichen Beobachtungen (in französischer Sprache) angefangen.[8] Wenn ich ihn vollende, so habe ich nur eine Pflicht gegen damals Mitarbeitende erfüllen wollen und die Jahreszahlen selbst können zur Entschuldigung dienen.

Ich lebe der grossen Hoffnung, bald über alle diese Gegenstände Ihre mündliche Belehrung (Anfang September) einsammeln zu können.[9] Es ist mir bisher sehr unwahrscheinlich, daß ich zu jener Zeit nicht in Deutschland sein sollte, obgleich der Tod meines Buchhändlers Gide, grösseren Verwirrungen vorzubeugen, meine endliche Anwesenheit in Paris wünschenswerth machen würde. Hier in Böhmen habe ich mit Graf Sternberg einen bitteren Kampf gefochten.[10] Man hat es für ganz unmöglich gehalten, daß ich nicht die Versammlung der wandernden Naturseelen[11] in Prag vorziehen sollte. Ich habe mich aber tapfer vertheidigt als Zögling der grossen Göttinger Lehranstalt und in Beziehung von Versprechungen, welche ich Ihrem Könige und dem Herzog von Cambridge vor vielen Jahren gegeben.[12] Noch wichtigere Gründe, die wahren, durfte ich nicht anführen. Einige Stunden mit Ihnen, theurer Freund, sind mir lieber als alle Sectionen der sogenannten Naturforscher, die sich in solchen großen Massen und so gastronomisch bewegen, daß des wissenschaftlichen Verkehrs für mich nie genug gewesen ist. Ich habe mich am Ende immer gefragt wie der Mathematiker am Schluß der Oper, „enfin[13] dites-moi franchement ce que cek prouve”. Es ist überaus unartig, daß man uns, trotz meiner wiederholten Erinnerung, immer nicht die Isländer Beobachtungen 10.-18. Aug. 1836 gesandt hat. Wahrscheinlich werden im hohen Norden, nach Ihrer scharfsinnigen Entwickelung S. 99, die Perturbationen sehr stark gewesen sein. Ich habe von hier aus unmittelbar an Herrn Lottin geschrieben.[14] Jene Menschen scheinen gar nicht einzusehen, wie Beobachtungen, ohne schnellen Wechselverkehr, von ihrer Wichtigkeit verlieren. Verzeihen Sie das Unleserliche dieser Zeilen. Mein kranker Arm gehört schon zu den vorweltlichen Resten. Erhalten Sie mir ein Wohlwollen, das mein Stolz ist. Mit alter unverbrüchlicher Verehrung und Liebe

Ihr ganz gehorsamster

Al. Humboldt

Teplitz, den 27. Jul. 1837

Ich werde mit meinem Könige gegen den 2. August in Berlin zurück sein.

1[Humboldt begleitete Friedrich Wilhelm III. insgesamt zehnmal auf dessen Badereisen nach Teplitz: 1828, 1830, von 1832 bis 1839 alljährlich. ]
2[Gauß u. Weber 1837/43, [1]; vgl. Brief 21. ]
3[Der sogenannte Göttinger Magnetische Verein. ]
4[Ersichtlich gelangt Humboldt mehr und mehr zur Anerkennung der Überlegenheit von Gauß auch auf dem Gebiet der Erforschung des Geomagnetismus. Indessen waren zu diesem Zeitpunkt seine Vorbehalte noch nicht vollständig geschwunden, siehe Anm. 2 zu Brief 23. ]
5[Zitat aus der Einleitung von Gauß zu: Gauß u. Weber 1837/43, [1], S. 11. ]
6[Gauß' „Erläuterungen zu den Terminzeichnungen und den Beobachtungszahlen” in Gauß u. Weber 1837/43, [1]. ]
7[S. 13-33 und 63-89 von Weber in Gauß u. Weber 1837/43, [1]. ]
8[Das Projekt ist nicht vollendet worden. ]
9[Anläßlich der Feierlichkeiten zum 100jährigen Bestehen der Universität Göttingen. ]
10[Das ist etwas übertrieben. Humboldt hatte sich am 15.7.1837 bei Graf Sternberg für die bevorstehende 15. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte mit seinem und seines verstorbenen Bruders mehrfach erneuerten Versprechen entschuldigt, am Göttinger Universitätsjubiläum teilzunehmen. (ZLO Benešov. RA Sternberg 155.) $-$Die Reise nach Göttingen fand statt (siehe den folgenden Brief), obwohl die Cholera grassierte. Am 25.8.1837 schrieb Humboldt aus Sanssouci an seinen Pariser Verleger Gide jr.: „Je vous écris au milieu d'une atmosphère de choléra. La maladie a augmenté rapidement; elle cependant n'atteint encore que le nombre de 50 morts par jour.” (Charavay 1885, Nr. 274.) ]
11[Scherzhafte Bezeichnung für die in der vorangegangenen Anmerkung erwähnte Naturforscher-Versammlung. Der 7. Versammlung dieser Art in Berlin 1828 hatte Humboldt, wie erwähnt, präsidiert. ]
12[Die in Anm. 10 genannten Versprechungen zur Teilnahme am Göttinger Universitätsjubiläum. ]
13[D irrt.: en (statt „enfin”). ]
14[Der Brief ist verschollen. ]