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Sie werden verzeihen, mein hochverehrter Freund, daß ich so spät erst Ihnen für Ihren höchst interessanten freundlichen Brief[1] meinen innigen Dank darbringe. Eine ungewöhnliche Anhäufung von Geschäften und Pflichten in der Umgebung des Königs haben mich allein davon abhalten können. Die Zeichnungen so vieler übereinstimmender Orte haben durch den Parallelismus in den kleinsten Krümmungen mich unendlich interessirt. Solche Resultate in den kleinsten fast zu Längenbestimmungen nutzbaren[2] Zeiträumen sind freilich nur durch Ihre vortreffliche catoptrische Methode[3] zu erreichen. Sie wissen, daß, seitdem mein magnetisches Häuschen in der Leipziger Strasse[4] abgerissen ist (wegen Verkauf des Grundstückes), wir in der neuen Sternwarte nur Ihre Methode anwenden. Ich dringe darauf, daß wir bald einen unter Ihrer Leitung gearbeiteten Apparat erhalten mögen. Es freut mich, daß der Anstoß , den ich durch meinen magnetischen Brief an den Herzog von Sussex[5] in London gegeben, die königliche Societät endlich aus ihrem Winterschlafe und Somnambulismus[6] erweckt hat. Der Antrag ist sehr, sehr freundlich aufgenommen und der 51 lange schon gedruckte Bericht[7] von Airy und Christie,[8] den mir der englisch-deutsche Herr König[9] unter dem 8. d. M. schickt, schlägt weit mehr Stationen in der Südsee, Ost- und West-Indien vor, als ich zu erwarten wagte. Hier in Teplitz, wo ich mit dem Könige bis 11. Aug. sein werde, erhalte ich zwei Briefe aus Island vom 30. Mai und 5. Junius.[10] Der Gambey'sche Apparat, um dessen Anfertigung ich den franz. Seeminister, Admiral Duperré vorigen Herbst [bat], ist nun in Reykiawik aufgestellt und der geübte Astronom Herr Lottin bittet um correspondirende Beobachtungen stündlicher Abweichung zu Beobachtungen, die er in Reykiawik (Island) wahre Zeit (vrai ) des Orts von 15 zu 15 Minuten von Mittwoch, 10. August, 7 Uhr morgens, bis Donnerstag, 18. August, 10 Uhr morgens, anstellen wird. Zugleich wird Lottin 8. Aug. dort die Inclination, und den 9. Aug. zwischen 11h und 2h die Intensität beobachten.

Ich habe auf Lottin's und des Naturforscher Gaimard's Bitte eine Anzeige davon in den Zeitungen gemacht und ich hoffe, daß Sie, hochverehrter Freund, auch 1 oder 2 Tage in der festgesetzten Epoche (10.-18. August) wieder die stündliche Abweichung beobachten können.[11] Es ist mir leider! nicht möglich gewesen, wegen Verspätung des isländischen Briefes früher diese Bitte an Sie zu richten. Da Island ganz von unterirdischem Feuer unterminirt ist, so bin ich neugierig auf die Perturbationen der isländischen Curve: immer sind zwei Phaenomene zu unterscheiden, die Bewegung der Nadel, die von der wahren Zeit des Orts, dem Abstand vom Mittag überall abhängt und gegen 8 und 2 Uhr ohngefähr maximum und minimum der Elongation[12] erreicht. Diese Bewegung, welche wir die gewöhnliche, regelmässige nennen, steht unbezweifelt mit dem Stande der Sonne in Verbindung. Die anderen Bewegungen (Perturbationen, affolemens)[13] sind isochron, wohl plötzliche Reactionen des Inneren des Planeten gegen die Oberfläche. Wo liegt das Band zwischen beiden? Der Report (11 Seiten lang vom 9. Juni)[14] schlägt zunächst als leicht zu errichtende Stationen vor: Neufundland, Halifax, Gibraltar, die Jonischen Inseln, St. Helena, Paramatta, Mauritius, Madras, Ceylon und Jamaica. Die Kön. Societät soll Geld vom Gouvernement fordern und dem Gouvernement wird es vorläufig als grosse Schande vorgehalten, wenn es taub bleibe. Zur Berathung über Wahl, Anfertigung und Vergleichung der Instrumente (man geht auf stündliche und absolute Abweichung, Inclination und Intensität, auch auf meteorologische gleichzeitige Beobachtungen aus) soll ein eigenes Comitté ernannt werden. Pentland, der zum General-Consul in Bolivia ernannt ist und den auf mein Gesuch Lord Palmerston mit Instrumenten reichlich versieht, soll Apparate aufstellen an der Südsee-Küste und auf 9000 Fuß Höhe. Das klingt alles sehr schön. Es gährt: möge es mehr als Schaum geben. Über Ihren Apparat[15] will man noch nicht sich erklären, da ich ihn doch so sehr empfohlen, „the method adopted by Mr. Gauß being already before the Royal Society in a memoir[16] which has been communicated by him, it is unnecessary here to enter into the explication[17] given by Mr. de Humboldt.”[18] Am Ende (p. 10)[19] kommt wieder vor: „We may, however, in the mean time” (ehe das Comitté die Instrumente gewählt hat) „offer a remark on the apparatus of Mr. Gauß.” Da wird denn sonderbar albern behauptet, daß so vortrefflich auch sehr schwere Magnete die regelmässige stündliche Bewegung angeben mögen, so würden sie doch nicht für plötzliche Perturbationen empfänglich genug sein. „We apprehend that the great weight of the needles would prevent their recording the sudden and[20] extraordinary changes in the direction of the magnetic force, which are, probably, due to atmospheric changes.”[21] Darauf eine andere „very serious[22] objection”, daß so wirksame und mächtige Magnetstäbe zu weit umher wirken!! und das Aufstellen anderer Apparate unmöglich machen. Hat man denn in London nicht gelesen, 52 was bereits von Ihren[23] Apparaten geleistet ist, wie gerade der Parallelismus der Curven sich auf die Perturbationen (sudden changes) bezieht. Verzeihen Sie, theurer Freund, die Flüchtigkeit dieser Zeilen und erhalten Sie Ihrem wärmsten Verehrer die Gewogenheit, auf die er so stolz ist. Es hat mich unendlich geschmerzt, Ihrem recht kenntnisvollen, liebenswürdigen Verwandten[24] bisher nicht haben nützlich sein zu können in seinen Reiseplänen.[25]

Al. Humboldt

Teplitz, den 30. Julius 1836

1[Es dürfte sich um den Brief handeln, den Gauß vor dem 24.6.1836 an Humboldt gerichtet hat und der verschollen ist. $-$Bemerkenswert ist, daß Humboldt mit keinem Wort auf sein Schweigen seit dem 17.2.1833 (Brief 13) und seine mit Gauß indirekt über Schumacher im März und April 1836 ausgetragene Kontroverse eingeht. Diese Auseinandersetzung hatte Humboldts Entwurf seines Briefes an den Herzog von Sussex, den Präsidenten der Royal Society, vom April 1836 zum Gegenstand, einen Brief, der den Anstoß zu einer weltweiten Einrichtung geomagnetischer Observatorien gegeben hat. Humboldt wollte ihn in den von Schumacher herausgegebenen Astronomischen Nachrichten veröffentlichen, aber bis es dazu kam (Humboldt 1836a), gab es eine Menge Verdruß . Schumacher hatte nämlich Gauß Korrekturbogen des Briefes gesandt, und dieser hatte Humboldtsche Irrtümer in Schreiben an Schumacher richtiggestellt bzw. miß verständliche Stellen ins rechte Licht gesetzt. Das aber hatte Humboldt, der durch Schumacher von den Gauß schen Beanstandungen erfuhr, erheblich geärgert; er unterstellte Gauß illiberale Reizbarkeit und wissenschaftlichen Despotismus, er sah nicht, daß es Gauß um wissenschaftliche Klarheit und nicht um Prioritätsreklamationen oder Prestigefragen ging. Wir werden in der Annahme nicht fehlgehen, wenn wir eine Quelle des Humboldtschen Unmuts in der Tatsache sehen, daß der sogenannte Göttinger Magnetische Verein, eine Gauß sche Methoden und Apparate anwendende Arbeitsgemeinschaft deutscher, österreichischer und russischer Gelehrter, Ende 1835 feste Formen angenommen, andere als die von ihm eingeführten Beobachtungstermine wahrnahm und sich im wesentlichen unabhängig von ihm entwickelt hatte, der er schon lange vor der Gauß schen Hinwendung zum Geomagnetismus $-$die er veranlaß t zu haben glaubte $-$eine ganze Anzahl magnetischer Stationen im In- und Ausland, sogar in Übersee, angeregt bzw. in Berlin selbst eingerichtet hatte. (Eine ausführliche Darstellung der Auseinandersetzung liefert Biermann 1963a.) Es bedurfte einiger Zeit, bis sich der Humboldtschen Anerkennung der bahnbrechenden theoretischen Leistungen von Gauß auch die Überzeugung von der Überlegenheit seiner praktischen Meß vorrichtungen über die von ihm bis dahin benutzten Gambeyschen Meß geräte hinzugesellte. Der obige Brief leitet die Beendigung der Belastungsprobe ein, der die Freundschaft zwischen Humboldt und Gauß ausgesetzt gewesen ist; siehe die Anm. 4 zu Brief 22, 2 zu Brief 23 und 3 zu Brief 31. ]
2[D irrt.: reizbaren (statt „nutzbaren”). ]
3[Beobachtung mittels Spiegel, Fernrohr und Skala. ]
4[Seit Herbst 1828 hatte Humboldt im Mendelssohn-Bartholdyschen Garten (an der Stelle, an der sich heute das Akademie-Gebäude befindet) mit befreundeten Gelehrten geomagnetische Messungen angestellt. Rd. 20 Jahre zuvor (Mai 1806 bis Juni 1807) hatte Humboldt in Berlin im Garten des Hauses Friedrichstraße 140 bereits ein eisenfreies Häuschen für erdmagnetische Messungen errichten lassen und benutzt; vgl. Anm. 16 zu Brief 20. ]
5[Humboldt 1836a. ]
6[Schlafwandeln. ]
7[Christie 1837. ]
8[D irrt.: an Christien (statt „und Christie”). ]
9[Charles König, Foreign Secretary df the Royal Society, London. ]
10[Die Briefe sind verschollen. ]
11[Gauß entsprach Humboldts Bitte; vgl. Brief 20, ferner Peters 1860/65, 3, S. 112, sowie Gauß 1863/1933, 12, 5. 133 (Briefe an Schumacher vom 17.8.1836 bzw. an Steinheil vom 1.8.1836). $-$Die Bekanntmachung Humboldts (Teplitz, 25.7.1836) über Lottins Vorhaben: Humboldt 1836b. ]
12[Entfernung von der Ruhelage, Ausweichung. ]
13[D irrt.: „affolemens” ausgelassen. ]
14[Christie 1837. ]
15[D irrt.: Ihre Apparate (statt „Ihren Apparat”). ]
16[Wohl Gauß 1833. ]
17[D irrt.: application (statt „explication”). Im Report aber: explanation. ]
18[Frei zitiert nach Christie 1837, S. 422. ]
19[Christie 1837, S. 427. Humboldts Seitenangabe bezieht sich auf einen Separatdruck des Reports (S. 1-11). $-$Auch in diesem Fall stimmt Humboldts Zitat nicht wörtlich mit dem Report überein. ]
20[D irrt.: „and” ausgelassen. ]
21[Christie 1837, S. 427. Wiederum sinngemäß zitiert. ]
22[D irrt.: curious (statt „serious”). ]
23[D irrt.: vor Ihren (statt „von Ihren”). ]
24[Der Sanskritist und Sprachforscher Albert Hoefer in Greifswald, ein Neffe der zweiten Frau von Gauß. ]
25[Es dürfte sich um den Wunsch nach Ermöglichung eines Studienaufenthalts in London und Paris handeln, denn später (1841/42) hat sich Humboldt mit Erfolg in dieser Hinsicht für Hoefer verwendet. ]