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Ich habe lange gezögert, mein theuerster, verehrtester Freund, Ihnen meinen innigsten Dank auszusprechen für Ihre warme, und meine herzliche Freude, für Ihre erfolgreiche Verwendung für den jungen Wichmann.[1] Zwei Umstände sind daran Schuld; erstens die indirecte, obwohl, wie sich jetzt nach empfangener directer Nachricht ausweiset, sehr übertrieben gewesene Nachricht, daß es sich mit Wichmann's Befinden so verschlimmert habe, daß es zweifelhaft geworden sei, ob er die Reise noch werde ausführen können. Zweitens mein eigner Gesundheitszustand, der sich besonders seit Anfang dieses Jahres allmählig immer mehr verschlechtert hat, so daß mir das Sitzen am Schreibtisch selbst nur während einer kurzen Zeit ungemein sauer wird. Mein primitives Übel,[2] Verschleimung in den Luftwegen, und Schwierigkeit des Auswerfens, datirt freilich schon seit längerer Zeit, vielleicht 6-10 Jahre; aber an Intensität hat es allmählig immer mehr zugenommen und es haben 118 sich nach und nach immer mehr andere Übel daran geknüpft; Schlaflosigkeit, ungestümstes Herzklopfen bei der geringsten körperlichen Anstrengung, z. B. Gehen nur auf ein Par hundert Schritt, Steigen einer Treppe, etwas anhaltendes Sprechen, Sitzen am Schreibtisch etc. In der allerletzten Zeit sind auch geschwollene Beine dazu gekommen. $-$Doch ich will Sie mit Aufzählung meiner Klagen nicht weiter ermüden.

H[er]r Wichmann wird übrigens, wie er mir schreibt, seine Reise bald antreten und zunächst noch in diesem Monate über Berlin nach Dresden gehen; bei der Ungewißheit, wie auf andere Art Briefe ihn sicher treffen, nehme ich mir die Freiheit, ein Par Zeilen hier an ihn beizuschliessen.[3]

Sollten Sie es nicht unpassend finden, so möcht ich doch bitten, Ihrem liebenswürdigen König[4] auszusprechen, wie tief ich von der ehrfurchtsvollsten Dankbarkeit durchdrungen bin für seine, in dem Ass[istenten] Wichmann der Wissenschaft selbst erwiesene königliche Wohlthat.

Die von Ihnen in nahe Aussicht gestellte ausführliche Nachricht von den Versuchen des H[errn] Vogel, habe ich bisher in den A[stron.] N[achrichten][5] immer vergeblich gesucht; ich kenne nur den Bericht, der im Februar der Monatsberichte der Akademie von Encke gegeben ist,[6] und bedaure nur, daß dieser vergessen hat, mitzutheilen, aus welchen Gründen H[err] Vogel gewiß ist, oder zu sein glaubt, daß die Erscheinung mehr als subjectiv ist.

H[err] Whewell hat mir sein Werk[7] auch geschickt; ich will nicht in Abrede stellen, daß, wer streng an die buchstäbliche Wahrheit der christlichen Dogmen glaubt, kaum umhin kann, auch die Whewellschen Schlüsse gelten zu lassen. Was ich aber nicht lobe, ist, daß H[err] Whewell seine Autoritäten, auf die er sich zu stützen zuweilen für gut findet, nicht ehrlich citirt. So legt er z. B. S. 43 Bessel in den Mund: that those who imagined inhabitants in the moon and planets supposed them in spite of all their protestation, as like to men as one egg to another, und citirt Bessels populäre Vorlesungen[8] , p. 31. Allein hier steht nichts derart. Ich kann bloß die Stelle p. 81 finden, die einigermassen passt,[9] wo aber kein Wort von Planeten steht, sondern lediglich vom Mond gesprochen wird. Übrigens kann ich auch abgesehen davon der Autorität von Bessel an dieser Stelle gar kein Gewicht beilegen. Denn es handelt sich hier ja nicht von einer wissenschaftlichen Frage, sondern nur von einer factischen, und um darüber , wie er gethan, so absprechend zu urtheilen, hätte er erst eine allgemeine Umfrage halten müssen. Bei mir wenigstens hat er nicht gefragt. Ich würde mich vielmehr so äussern: jeder , der die Thatsachen kennt, wird Mondsbewohner, falls es solche gibt, für gänzlich anders gebauet halten müssen als die Erdbewohner, aber es wäre sehr voreilig, deshalb dem Mond mir nichts dir nichts alle Einwohner abzusprechen.

Die Natur hat mehr Mittel, als der arme Mensch ahnen kann.[10]

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlbefinden

Ihr treuster

C. F. Gauß

Göttingen, 21. Mai 1854

1[Siehe den vorangehenden Brief 50. ]
2[Im Sinne von „ursprüngliches Leiden”. ]
3[„Trotz der Vorliebe, die Gauß für ihn [Wichmann] immer bezeigt hat”, äuß erte Humboldt Bedenken, als nach dem Tode von Gauß vorübergehend erwogen wurde, dessen Stelle zu teilen und als astronomischen Nachfolger für ihn Wichmann zu berufen. (Humboldt an Bruhns, März 1855. Lilli Bruhns, Clausthal.) Nachfolger von Gauß wurde ein Mathematiker: Dirichlet. ]
4[Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. ]
5[Vogel 1854. ]
6[Encke 1854. ]
7[Whewell 1853. ]
8[Bessel 1848. ]
9[Es kann kein Zweifel bestehen, daß Whewell a.a.O. Sessel 1848, S. 81, frei zitiert, denn dort heiß t es: „Sie [die Mondatmosphäre] ist wirklich so gleichgültig nicht, denn mit ihr zugleich fallen viele schöne Träume von der Bewohnbarkeit des Mondes und den Verhältnissen der dortigen Menschen; ich sage Menschen, denn ungeachtet aller Protestationen der fühlenden Herzen, die auch im Monde Mitgefühl haben wollten, dachten sie sich doch ihre Mondbewohner den Erdbewohnern im Wesentlichen so ähnlich wie ein Ei dem anderen.” ]
10[Auch im Gespräch hat Gauß sich über etwaige Lebewesen auf anderen Gestirnen geäuß ert; vgl. Sartorius 1856, S. 88. ]