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Hochverehrter Freund.

Wir Deutschen feiern gern, vielleicht mehr als irgend ein anderes Volk, gewisse Tage, die eine Zeitmaß-Beziehung haben auf uns theure Personen oder Begebenheiten, wie Geburtstage, Jubiläen und dergl. Der Meß künstler,[1] in dessen Augen Verschwommenheit und Willkürlichkeit im Gegensatz zu Schärfe und Festigkeit immer etwas Abstossendes haben, findet einen kleinen Übelstand darin, daß der Grund, warum eben dieser Tag und nicht ein anderer zur Begehung der Feier bestimmt wird, mehr oder weniger von Willkürlichkeiten abhängt, von der Einrichtung unsers Kalenders, der Vertheilung der Schaltjahre, und, was Jubiläen betrifft, von dem Bestehen des Decimalsystems, also, in letzter Instanz, von dem Umstände, daß wir eben fünf Finger an jeder Hand haben.

Warum ich mit diesen trivialen Reflexionen Sie jetzt behellige?

Ich kann nicht unterlassen, übermorgen, den 9. December, in tiefer Rührung einen Tag zu feiern, dessen ergreifende Bedeutung von keiner solchen Willkür berührt wird. Es ist dies der Tag, wo Sie, mein hochverehrter Freund, in ein Gebiet übergehen, in welches noch keiner der Koryphäen der exacten Wissenschaften eingedrungen ist, der Tag, wo Sie dasselbe Alter erreichen, in welchem Newton seine durch 30766 Tage gemessene irdische Laufbahn geschlossen hat.[2] Und Newtons Kräfte waren in diesem Stadium gänzlich erschöpft: Sie stehen zur höchsten Freude der ganzen wissenschaftlichen Welt noch im Vollgenuß Ihrer bewundernswürdigen Kraft da. Mögen Sie in diesem Genuß noch viele Jahre bleiben.

Der Doctor Wichmann, Assistent der Königsberger Sternwarte, ein junger Mann, auf dessen Talente und Kenntnisse ich viel halte, ist, wie ich zu meiner Betrübnis von mehreren Seiten erfahre, in einem bedauernswerthen Gesundheitszustande, der zum Theil eine Folge des Königsberger Klima sein soll. Man ist nicht ohne Besorgnis, daß er den Winter vielleicht nicht übersteht; indem ich jedoch noch nicht aufhören mag, das Beste zu hoffen, kann ich mich des Wunsches nicht erwehren, daß es ihm vergönnt und möglich gemacht werden möchte, eine angemessene Zeit in einem südlichen Klima zuzubringen, insofern gegen die milde Jahreszeit hin seine Kräfte zu einer solchen Reise noch zureichen werden.[3]

Bewahren Sie Ihre freundschaftlichen Gesinnungen, die ich stets zu meinen köstlichsten Gütern gezählt habe,

Ihrem herzlich ergebensten

C. F. Gauß

Göttingen, den 7. December 1853 114

1[Es war damals noch üblich, die Mathematik als Meßkunst zu bezeichnen, den Mathematiker einen Meß künstler zu nennen. ]
2[Die Berechnung durch Gauß findet sich in Lalande 1805 (SUB Göttingen. Cod. Ms. philos. 34); Biermann 1974. Siehe auch Sartorius 1856, S. 70-71. ]
3[Humboldt reichte den Gaußschen Brief am 14.12.1853 an Encke weiter und bemerkte dazu: „Ich sollte vielleicht anstehen, einen so liebevollen, durch nichts veranlassten Brief von Gauß mitzutheilen (die Einleitung zu der Betrachtung über die furchtbaren 30766 Tage ist sehr wundersam und hat etwas dem grossen Mann eigenthümliches), aber ich schicke den Brief wegen des Schlusses. Ist denn eine solche Reise in Anregung gebracht, wie wäre sie auch in dieser Jahreszeit und von dem eisigen Königsberg aus nur denkbar?” (SUB Göttingen. Cod. Ms. philos. 134k.) $-$Über den Erfolg des Humboldtschen Eintretens für den an Lungentuberkulose erkrankten Wichmann, einen Schüler von Gauß , siehe den folgenden Brief 50. ]