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Beigehend übersende ich Ihnen, mein hochverehrter Gönner und Freund, meinen Vorschlag zur Wiederbesetzung der durch v. Buch's Tod erledigten Stelle in der Reihe der Ritter des Ordens p[our] l[e] m[érite].[1] Ich habe mit grösstem Vergnügen meine sonstige Absicht, die ohnehin wahrscheinlich isolirt stehen würde, Ihrem Wunsche untergeordnet.

Wie ich stets bei den verschiedenen Gelegenheiten, wo Ihr Name in öffentlichen Blättern genannt wurde, mit innigster Freude auf Ihr fortdauerndes Wohlbefinden geschlossen habe, so ist diese mir durch Ihr freundliches Schreiben[2] bestätigt und verdoppelt. Es ist mir eine Herzstärkung, Ihre Geistesfrische ganz wie früher darin wiederzufinden, und zu erfahren, daß die niemand ganz verschonenden Beschwerden des vorrückenden Alters bei Ihnen nur leichterer Art sind. Auch ich selbst, seit kurzem in mein 77. Jahr getreten, kenne solche schon seit längerer Zeit, obwohl sie mir sich anders gestalten. In meinen jüngeren Jahren litt ich viel an Magen- und Unterleibsbeschwerden, wovon ich jetzt fast ganz frei bin, was freilich durch meine höchst einfache und gleichförmige Lebensweise bedingt ist. Dagegen sind seit etwa 6 oder 7 Jahren andere Beschwerden an jene Stelle getreten, von denen ich früher nichts wusste, Verschleimung in Brust und Schlund, Ausgehen des Athems bei Bewegung zu Fuß , die mein gewöhnliches (kleines) Maß überschreiten, Herzklopfen und Schlaflosigkeit, alles zusammen dahin wirkend, daß die zur Verarbeitung wissenschaftlicher Untersuchungen geeigneten Stunden immer seltener werden.

In der letzten Zeit habe ich mich mit der Ausführung eines Apparats beschäftigt, um die Foucault'schen Versuche[3] in anderer Gestalt auszuführen.[4] Ich habe es bei diesen, so wie Foucault selbst,[5] Secchi[6] u. a. sie ausgeführt haben, wie einen grossen Mangel betrachtet, daß dazu ein Lokal erfordert wird, wie es an wenig Orten zu Gebote steht, Secchi hatte, wenn ich nicht irre, eine Höhe von mehr als 100 Fuss,[7] Foucault eine von mehr als 200, Garthe[8] 134 u. s. w. Höhe. Mein Apparat ist in jedem Local anwendbar und zeigt schon jetzt die Einwirkung der Erdrotation nach kurzer Zeit auf das schlagendste, ich hoffe aber (da er jetzt noch unvollständig ist), die noch fehlenden Stücke, vielleicht successive, dahin zu bringen, daß alles in höchster Eleganz und Praecision erscheint. 112

Die jetzigen Tagsthorheiten[9] habe ich ziemlich mit Gleichmuth betrachten, ja über einige Genrebilder, wie die Versuche der Heidelberger Juristenfacultät[10] mit dem Tischdrücken[11] , herzlich lachen können. Ich bin seit langer Zeit gewöhnt, von der Gediegenheit der höhern Cultur, welche die s[o] g[enannten] höhern Stände durch Lesen populärer Schriften oder Anwohnen populärer Vorlesungen erwerben zu können glauben, wenig zu halten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß in wissenschaftlichen Gebieten probehaltige Einsicht nur durch Aufwendung eines gewissen Maß es eigner Anstrengung und eigner Verarbeitung des von andern dargebotenen erlangt werden kann.[12]

Der Aussicht auf die baldige Vollendung des 4. Theils Ihres so überschwenglich inhaltreichen „Kosmos”[13] freue ich mich um so mehr, da ich dadurch zu einer gewissen Orientirung in einem mir bisher wenig bekannten Felde zu gelangen hoffen kann. Ich hoffe zu Gott, dass Er Ihnen noch recht viele Jahre zu Ihren in ihrer Art einzigen Arbeiten schenken wird. Wie glücklich würde Welt und Nachwelt sein, wenn Sie nun auch noch den organischen Kosmos, die Pflanzen-, Thier- und Menschenwelt in Ihren Kreis aufnehmen wollten, nachdem Sie den materiellen Träger desselben von allen Seiten mit Ihrer Fackel durchleuchtet haben.[14]

Stets in innigster dankbarster Verehrung

Ihr treuergebenster

C. Gauß

Göttingen, den 10. Mai 1853

1[Siehe den vorangehenden Brief 47. ]
2[Desgleichen. ]
3[Pendelversuche zum Beweis der Erddrehung. ]
4[Die Gaußschen Versuche waren durch Gerling angeregt worden; vgl. den Briefwechsel zwischen ihm und Gauß vom 31.12.1851 bis 21.4.1853 (Schaefer 1927, S. 777-803, insbes. S. 780-781, 783-784, 790-793, 803). ]
5[1851 in Paris. ]
6[1851 in Rom. ]
7[Es ist nicht erkennbar, welches der verschiedenen Fußmaß e Gauß hier benutzt. Der Pariser Fuß z. B. hatte 32,5 cm, der Hamburger Fuß nur 28,5 cm. Beim Foucaultschen Versuch betrug die Pendellänge 67 m. ]
8[1852 in Köln. ]
9[Siehe Anm. 5 zu Brief 47. ]
10[Vgl. den Brief von Gauß an Gerling vom 21.4.1853, in dem sich Gauß darüber lustig macht, daß „die ganze [Heidelberger] Juristenfakultät [$\ldots$] wie wahnsinnig dem [sich drehenden] Tisch” nachrannte (Schaefer 1927, S. 803). ]
11[Durch die Verwendung des Wortes „Tischdrücken” will Gauß unterstreichen, daß der „gleichsam tangential wirkende” Druck der auf der Tischplatte flach aufliegenden Hände der Anwesenden es ist, der den Tisch in rotierende Bewegung setzt (Schaefer 1927, S. 802). ]
12[Diese Sätze machten auf Humboldt starken Eindruck. So schrieb er nach Empfang des Gaußschen Briefes an Olfers: Gauß „klagt die populären wissenschaftlichen Vorträge und populären Bücher [wegen der `Tollheit mit dem Tischrücken'] an. Den Menschen, sagt er schön, bleibt nur klar, was ihm im Lernen einige Anstrengung gekostet.” (Olfers 1913, S. 168-169.) An Dirichlet schrieb er am 16.5.1853: „Gauß schreibt mir, das Übel [des Glaubens des `vornehmen Gesindels' an die `Begeistigung des Fichtenholzes und die Orakel der Tischfüß e'] läge in den populären wissenschaftlichen Büchern und Vorträgen, die, unverdaut, den Krankheitsstoff hergeben. `Dem Menschen,' sagt er schön, `wird nur fest und klar, was er mit eigener Anstrengung sich aneignet'.” (ZAAdW Berlin. Nachlaß Dirichlet, Nr. 67.) ]
13[Humboldt 1845/62, 4. ]
14[Auch auf anderem Wege erfuhr Humboldt, daß Gauß ihm weiter höchst gewogen blieb. An Rudolph Wagner schrieb Humboldt nach Empfang einer solchen Nachricht am 14.10.1853: „Was Sie mir von Gauß ' mir erhaltenem Wohlwollen sagen, ist mir sehr ehrenvoll. Leider ist er recht isolirt und an Kräften zu früh abnehmend.” (DSB Berlin. Briefe A. v. Humboldts.) ]